Gaucks Dankesrede ist schon fertig

Berlin · Die Bundesversammlung wählt an diesem Sonntag aller Voraussicht nach Joachim Gauck zum Bundespräsidenten. Der 72-jährige frühere evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler aus Rostock wird von Union, SPD, FDP und Grünen unterstützt. Damit dürften etwa 1100 Delegierte hinter ihm stehen. Gaucks Gegenkandidatin Beate Klarsfeld kann mit den gut 120 Stimmen der Linkspartei rechnen, die sie nominiert hat.



Berlin. Ausschwärmen zum Feiern. Vor der Bundespräsidentenwahl liegt die Qual - des Anstoßens. Alle Fraktionen in der Bundesversammlung haben ihre Mitglieder für den Samstagabend zu Empfängen geladen, meist in ausgewähltem Ambiente. Nur kurze konstituierende Sitzungen am Nachmittag stören die Gemütlichkeit. Weil die Wahl Joachim Gaucks am Sonntag so gut wie sicher ist und die Hälfte der 1240 Stimmberechtigten aus den Ländern anreist, dürfte sich entspannte Betriebsausflugsstimmung breit machen.
Die schönste Location haben die Sozialdemokraten gewählt. Das Goya, ein 100 Jahre alter Fetenpalast in Berlin-Schöneberg, der in der Clubszene der Hauptstadt ebenso bekannt ist wie bei den Besuchern von "Ü-30-Parties". Dieser Altersschnitt dürften unter den über 500 erwarteten Gästen, darunter 332 Delegierte, locker erreicht werden. Die 146 Stimmberechtigen der Grünen feiern im nicht minder schmucken Hamburger Bahnhof. Die CDU spart sich Geld und nimmt das eigene Parteihaus, um ihre 486 Wahlmänner und -frauen plus Entourage zu bewirten. Die FDP geht mit ihren 136 Delegierten am Gendarmenmarkt essen. Früher war es üblich, dass die Kandidaten bei den Vorwahlfeten "ihrer" Parteien auftauchten, doch belässt es Gauck bei kurzen Besuchen in den nachmittäglichen Fraktionssitzungen.
Am Sonntag beginnt für Gauck um 9 Uhr mit einem ökumenischen Gottesdienst der wichtigste Tag seines Lebens. Und der wird sehr lange dauern. Nach der Wahl muss er zahlreiche Fernsehinterviews geben, und abends trifft er sich zum gemeinsamen Essen mit der Kanzlerin und den kompletten Führungsteams von Union, FDP, SPD und Grünen. Das "Alte Zollhaus" in Berlin-Kreuzberg wird eine große Koalition zu Besuch haben, die man in einem solchen Rahmen bisher nie gesehen hat. Danach feiert der neue Präsident noch privat mit seinen engsten Freunden und Familienangehörigen. Der Ort wird strikt geheimgehalten. Aber, das wird betont: "Er zahlt selbst." Bekanntlich fand bei Christian Wulff diese kleine Siegesfeier vor zwei Jahren auf Einladung eines Sponsors statt und war später Teil des Skandals.
Den überraschendsten Ort haben sich die Linken für ihre Vorwahl-Fete ausgesucht: Die Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain, die jetzt als Veranstaltungssaal umgebaut ist. Zu DDR-Zeiten hielt hier der Bürgerrechtler Rainer Eppelmann seine aufrührerischen "Bluesmessen" ab, und Bärbel Bohley traf sich mit ihrer Gruppe Frauen für den Frieden.
Unter den Wahlmännern und Frauen sind wieder zahlreiche Prominente, die die Landtagsfraktionen nominiert haben. Naturgemäß fast alle für Joachim Gauck, wie Tatort-Kommissar Jan Josef Liefers, Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, Moderator Frank Elstner oder Hertha-Trainer Otto Rehhagel. Auch Gamze Kubasik, die Tochter eines der von der Zwickauer Terrorgruppe Ermordeten, ist dabei. Gewerkschafter, Kirchenleute und Unternehmer komplettieren das Bild. Die Bundesversammlung ist traditionell ein großes Treffen der gesellschaftlichen Elite des Landes. Fast alle Ministerpräsidenten, Fraktionsvorsitzenden und Landeschefs der Parteien werden kommen. Weil es außer den Wahlgängen wenig zu tun gibt, wird umso intensiver in der Lobby und auf den Gängen geplauscht werden.
Am Freitag wurde im Reichstagsgebäude noch mit Hochdruck gewerkelt. In der Lobby bauten sich die Fernsehstationen auf, der Wickelraum wurde auf Vordermann gebracht, falls jemand mit einem Baby kommt, und im Saal wurden 1240 Stühle aufgestellt. Jeder Wahlmann und jede Wahlfrau muss einen Platz haben. Auch die 16 Vertreter sonstiger Parteien, darunter zwei Berliner Piraten und drei NPD-Leute. Um deren Platzierung gab es Gerangel, das auch am Freitag noch nicht entschieden war. Klar ist, dass die NPD-Vertreter in der letzten Reihe sitzen werden, aber keine Fraktion wollte sie hinter sich wissen.
Gauck verbringt den letzten Tag vor der Wahl in seiner Berliner Wohnung. Die kurze Dankesrede, die er nach der Wahl halten wird, wollte er schon Freitagabend fertigstellen. Seine Lebensgefährtin Daniela Schadt ist bei ihm. Beide werden während der Wahl auf der Tribüne sitzen, weil sie nicht Mitglieder der Bundesversammlung sind. Auch Gaucks drei erwachsene Kinder und deren Familienmitglieder werden dabei sein.

Extra

Jeder Parlamentarier wird namentlich aufgerufen. Neben Joachim Gauck gibt es zwei Wahlvorschläge: Beate Klarsfeld, Kandidatin der Linken, und Olaf Rose, Kandidat der Neonazis. Jedes Mitglied der Bundesversammlung hat das Recht, einen Namen einzubringen, jeder Deutsche über 40 ist wählbar. Kein Recht gibt es allerdings, dass der Betreffende sich vorstellt oder über ihn debattiert wird. Laut Grundgesetz findet die Wahl des Bundespräsidenten "ohne Aussprache" statt. Aber gegen 14 Uhr, wenn das Ergebnis feststeht, wird Joachim Gauck in der Mitte der Bundesversammlung stehen, beklatscht von über 1100, die ihm vermutlich die Stimme gegeben haben, und auch von den Unterlegenen. Und Bundestagspräsident Norbert Lammert wird fragen: "Nehmen Sie die Wahl an?" kol/red

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