Gedenkstätte als Touristenmagnet

BERLIN. Alle möglichen Bedenken gab es in den 17 Jahren, in denen erbittert um das Holocaust-Denkmal in Berlin gestritten wurde. Dass man die Geschichte entsorge, dass andere Gedenkstätten zu kurz kämen, dass Neonazis und Schmierer sich hier austoben würden, kurzum, dass man mehr negative Schlagzeilen produzieren werde als positive.

Heute, ein Jahr nach der Eröffnung, ist von all dem nichts eingetreten. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas "ist ein Platz geworden, zu dem die Menschen kommen", wie Initiatorin Lea Rosh gestern sagte. Die Menschen strömen geradezu dorthin. Das Stelenfeld des New Yorker Architekten Peter Eisenman neben dem Brandenburger Tor gehört mittlerweile zum Programm aller Stadtrundgänge - und auch manches Staatsbesuchers. 3,5 Millionen Menschen wanderten bisher durch die Steinschluchten und, das findet Lea Rosh besonders bemerkenswert, sie verhalten sich dabei still und angemessen. "Ich erlebe sehr differenzierte, nachdenkliche Aussagen", schildert Rosh. Die Ordner haben wenig zu tun. Die Ausstellung im unterirdischen "Ort der Erinnerung" besuchten über eine halbe Million Menschen, 40 Prozent davon ausländische Gäste. In den 364 Tagen seit der Eröffnung am 10. Mai 2005 registrierte die Denkmals-Stiftung ganze fünf Hakenkreuzschmierereien, vier aufgemalte Davidsterne und ein einziges Graffito. Selbst vor der bevorstehenden WM, wenn tausende Fußballfans in der Gegend feiern werden, ist Stiftungs-Geschäftsführer Markus Neumärker nicht bange. Lea Rosh erinnerte gestern daran, was das Denkmal leisten sollte und ihrer Meinung nach geleistet hat. Es sollte dafür sorgen, dass das wiedervereinigte Deutschland "nicht einfach zur Tagesordnung übergeht", es sollte die sechs Millionen ermordeten Juden an zentraler Stelle ehren, und es sollte den Opfern ihre Namen zurückgeben. Letzteres ist noch ein Projekt. In der Ausstellung können bisher an Computern 800 Namen und Lebensdaten von ermordeten Juden aufgerufen werden. 3,2 Millionen sollen es einmal sein. Die Daten hat die Stiftung von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem bereits bekommen und bereitet sie nun nach und nach auf. Massiven Ärger gibt es allerdings wegen eines Gebäudes, das in unmittelbarer Nachbarschaft entsteht. Dort errichtet ein privater Investor auf seinem Grundstück einen Gastronomiepavillon mit Aussichtsplattform für die Denkmal-Besucher. Die rund 100 Meter lange, zweistöckige Holzkonstruktion ist fast fertig. Sie erinnert an Budenmeilen in italienischen Badeorten und ist für Rosh wegen ihrer Größe "abartig und absurd". Stiftungs-Mitglied Tilmann Fichter sagt, damit verkomme das Denkmal immer mehr zu einem touristischen Ort. Allerdings ist man in der Stiftung selbst nicht ganz einer Meinung. Geschäftsführer Neumärker findet das Bauwerk zwar auch nicht gelungen, meint aber, dass die vielen Besucher so etwas bräuchten. "Die Vorteile überwiegen die Nachteile." Rosh fordert nun, dass das neue Gebäude wenigstens grau gestrichen wird, in der Farbe der Stelen. Ohnehin, so der Trost der Initiatorin, soll an der Stelle des Pavillons in drei Jahren ein Wohnhaus entstehen.

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