Geheimbericht mit Lücken

BERLIN. Der Bundestag hat am Freitag den so genannten Spitzelbericht des Bundesnachrichtendienstes (BND) veröffentlicht. Der Bericht befasst sich mit der jahrelangen, teilweise illegalen Observierung von Journalisten.

Um 17.30 Uhr war es gestern endlich so weit. Auf der Internetseite www.bundestag.de erschien plötzlich die Überschrift "Parlamentarisches Kontrollgremium veröffentlicht Bericht über BND-Aktivitäten". Damit hat die Affäre um die Journalistenbespitzelungen durch den Bundesnachrichtendienst eine neue Qualität erreicht.Bürger können Dokument einsehen

Alle Bürger können nun in einem bisher geheimen Dokument nachlesen, was der Bundesnachrichtendienst seit Mitte der 90er-Jahre trieb, um sich selbst vor unliebsamen journalistischen Recherchen zu schützen. Freilich ist der Bericht nicht komplett: Einer der betroffenen Journalisten hatte zuvor gerichtlich durchgesetzt, dass die ihn betreffenden Passagen nicht erscheinen. Zudem hatte der Sonderermittler Gerhard Schäfer, ein ehemaliger Bundesrichter, bis kurz vor der Veröffentlichung auf Wunsch von Journalisten noch zahlreiche Änderungen, Streichungen und Korrekturen vorgenommen. Die betroffenen Journalisten machten ihre Persönlichkeitsrechte geltend. Immer wieder verzögerte sich deshalb die Freigabe des Textes. Aber nicht nur deshalb hat der Bericht offenbar Lücken. So sagte der Journalist Andreas Förster von der "Berliner Zeitung", der Text gebe nur einen Ausschnitt seiner Bespitzelung durch einen Leipziger Journalisten wieder. Auch Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung", der in den 90er-Jahren als "Spiegel"-Mitarbeiter ins Visier der Geheimdienstler geraten war, verwies darauf, dass vieles in den BND-Aufzeichnungen, die Schäfer als Grundlage genommen habe, falsch sei. Vor diesem Hintergrund wurde gestern der Ruf nach einer parlamentarischen Untersuchung lauter. Die hatten zuvor bereits die Linkspartei und die Grünen gefordert. Für die erforderliche Stimmenanzahl im Bundestag wäre als dritte Oppositionspartei aber auch die FDP nötig. Ihr Rechtsexperte Max Stadler schloss eine Untersuchung gestern nicht aus: "Die politische Verantwortung muss geklärt werden", sagte er. Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele sprach von "gravierenden Anhaltspunkten", dass das Kanzleramt über die Presseaktivitäten des BND informiert war. Die Hinweise deuteten darauf hin, dass in den 90er-Jahren "intensiv im Kanzleramt besprochen wurde, was der BND mit Journalisten beredete und wofür Journalisten vom BND eingesetzt wurden", sagte Ströbele. Der Grünen-Abgeordnete zeigt sich entsetzt darüber, in welchem Ausmaß Journalisten mit dem Nachrichtendienst zusammengearbeitet hätten. Die Bundesregierung bemühte sich gestern weiter um den Eindruck, sofort und konsequent zu handeln. Regierungssprecher Wilhelm sagte, die Bundesregierung reagiere mit einer Fülle von Maßnahmen auf die Vorwürfe. Das für alle Geheimdienste geltende Verbot, Journalisten künftig auszuspähen oder als Informanten zu nutzen, sei bereits erlassen worden. Neue, umfangreiche Dienstanweisungen zur Verbesserung der internen Abläufe und zur besseren Kontrolle des BND würden ergehen. "Unser Ziel ist, dass sich solche Entwicklungen in Zukunft nicht wiederholen", betonte Wilhelm. Zugleich warnte er jedoch: "Auf der anderen Seite müssen wir darauf acht geben, dass der Dienst effizient und funktionsfähig weiter arbeiten kann". Dies sei angesichts der terroristischen Bedrohung notwendig.

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