Gejammert wird woanders

TRIER. Die Pluspunkte überwiegen: Die Menschen in der Region sind optimistischer als im Rest der Republik. Offenbar haben sie sich hier mit den Nachteilen des ländlichen Lebens arrangiert.

Ganz Deutschland jammert: Nur zwei Drittel der Bundesbürger sind glücklich, und noch nicht einmal ein Drittel glaubt, dass man in fünf bis zehn Jahren noch gut in der Bundesrepublik leben kann. Fast jeder Zweite hat Angst, seinen Job zu verlieren. Ganz Deutschland ein Jammertal. Ganz Deutschland? Nein. Im äußersten Südwesten nahe der luxemburgischen Grenze scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. "Hier lässt es sich gut leben", sagen sich die Menschen zwischen Eifel, Mosel und Hunsrück. 71 Prozent geben an, zufrieden zu sein, sich dort, wo sie wohnen, wohl zu fühlen. Das sind vier Prozent mehr als noch vor einem Jahr, als die Menschen in der Region auch noch eher zu den Jammerlappen gehörten und bundesweit gerade mal Platz 89 auf der Zufriedenheitsskala einnahmen. Dieses Jahr ging es 31 Plätze nach oben auf Rang 58 im bundesweiten Vergleich, unter den ländlichen Regionen reichte es sogar für Platz sieben. "Die Region Trier nimmt damit einen guten Platz unter den westdeutschen Regionen ein", bescheinigt Josef Arweck von der Unternehmensberatung McKinsey, die zusammen mit "Stern", dem ZDF und AOL von September bis Januar in "Perspektive Deutschland" nach der Stimmungslage der Deutsche gefragt hatte. Zum fünften Mal seit 2001. 511 000 Bürger beteiligten sich an der laut Initiatoren größten Internet-Umfrage der Welt. Doch nicht nur die eigene Situation beurteilen die Bürger in der Region Trier, die als ländliche Region mit geringer Besiedlung und ohne Großstadt charakterisiert wird, als durchweg positiv. Auch das Leben in Deutschland wird von den Menschen hier überdurchschnittlich gut bewertet. 61 Prozent sagen, in der Bundesrepublik lasse es sich gut leben. Warum die Menschen in der Region zufriedener geworden sind, weiß Arweck nicht. Vielleicht liegt es daran, dass man die Vorzüge der Region endlich besser zu schätzen weiß: gutes Freizeitangebot, zufrieden stellendes Angebot an Kinderbetreuung, keine Angst vor Gewalt, kaum Job-Angst. Faktoren, die Anfang des Jahres der Region bereits zu einem Spitzenplatz beim bundesweiten Vergleich von Familienfreundlichkeit verhalfen. Womöglich sind die Menschen in der Region auch selbstbewusster geworden, fühlen sich nicht mehr am Rande Deutschlands, sondern eher in der Mitte Europas. Bereits im vergangenen Jahr zeigte sich, dass die meisten Bürger hier weniger Angst vor einer EU-Erweiterung hatten als der Rest der Republik. Auch die Auswirkungen des Euro wurden positiver gesehen als andernorts. Seit Jahren sind gerade in der Region Trier eher die Vorzüge als die Nachteile eines vereinten Europas zu spüren. Vor allem der Arbeitsmarkt profitierte davon. Kaum irgendwo ist die Arbeitslosigkeit in einer ländlichen Region derart niedrig wie hier – vor allem dank Luxemburg. Ohne den Arbeitsmarkt jenseits der Grenze sähe es hier düster aus. Damit dürfte auch die Einschätzung der Perspektive-Teilnehmer zusammen hängen, dass es in der Region zu wenig qualifizierte Arbeitsstellen gibt. Viele der gut und besser Qualifizierten pendelt ins Ländchen oder in die Ballungsgebiete. Oft ist es aber auch eine falsche oder verzerrte Wahrnehmung, die zu einzelnen Ergebnissen führt. Während nämlich das Freizeitangebot als top und das Vereinsleben als gut bezeichnet wird, sehen die meisten Menschen in der Region Trier einen Verbesserungsbedarf bei Theater, Oper und klassischer Musik. Und das, obwohl sich gerade in diesem Bereich mit Moselfestwochen, Antikenfestspielen und anderen kulturellen Initiativen in den vergangenen Jahren viel getan hat. Keinen Grund zum Jammern haben die Menschen hingegen bei der Gesundheitsversorgung: Das Angebot an Krankenhäusern, Ärzten und Pflegediensten wird als zufrieden stellend bewertet. Nur was die Notfallversorgung angeht, da bescheinigen die Bürger der Region einen Nachholbedarf. Insgesamt jedoch scheinen die Pluspunkte des Lebens in einer ländlichen Region zu überwiegen. Die Nachteile nimmt man anscheinend in Kauf.

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