Gerd Büntzly und die Bomben

Büchel · Wie ein Berufsmusiker der Luftwaffe gezeigt hat, dass ihr Atombombenstandort sicherer sein könnte.

Büchel Eines haben Gerd Büntzly und der Trierer Bischof gemeinsam. Beide waren kürzlich Teilnehmer einer 20-wöchigen Protestaktion in Büchel. Weil sie sich eine Welt ohne Atombomben wünschen. Weil sie wollen, dass die Bundesregierung die Massenvernichtungswaffen ächtet. Und weil sie sich wünschen, dass diese endlich aus der Eifel verschwinden.
Religion ist allerdings nicht so Büntzlys Ding. Während amerikanische Gläubige vor den Toren des Fliegerhorstes Büchel beteten und Brote segneten, um sie den Soldaten nach dem Motto "Tauscht Bomben gegen Brot" zu überreichen, achtete der Berufsmusiker und engagierte Antimilitarist aus Herford in Nordrhein-Westfalen eher auf die Sicherheitsvorkehrungen. Erstaunt habe er beobachtet, wie die Gruppe mit den Broten einfach durchs offene Tor spazierte. Drinnen sei es den Aktivisten sogar gelungen, die US-Flagge herunterzuholen.
In der Nacht zum 18. Juli machte sich der 67-Jährige mit vier amerikanischen Freunden dann selbst auf den Weg in den Fliegerhorst, wo die letzten 20 Atombomben auf deutschem Grund liegen sollen (siehe Extra). Das Ziel: festgenommen werden und den Soldaten vorbereitete Erklärungen übergeben. Wie er dem TV berichtet, hatten die fünf sich ein Grundstück ausgesucht, wo sie die Atombomben vermuteten. "Der doppelte Zaun unterstrich den hohen Sicherheitsstatus", sagt er. Die Gruppe zerschnitt diese und weitere Zäune und drang ein. Doch nichts geschah. "Wir kletterten auf einen der Bunker. Oben war es friedlich und schön: eine sternenklare Nacht. Und da lagen wir dann sicher eine Stunde lang unbemerkt", sagt der Aktivist, der sonst mit klassischen Konzerten gegen Krieg protestiert.
Erst nachdem zwei seiner Freunde für einen Augenblick vom Bunker geklettert seien, um das Wort "Disarm" an dessen Tür zu schreiben, seien sie von einer Videokamera erfasst worden. Zwei Wagen seien daraufhin gekommen. Ein Soldat sei ausgestiegen und habe das Gelände mit einer Stablampe abgesucht. Ohne Erfolg.
"Die Wagen verließen das Gelände wieder, um alsbald zurückzukommen", berichtet Büntzly. "Irgendwann sagte ich zu den anderen: Wir müssen uns jetzt zu erkennen geben, sonst düsen sie noch die ganze Nacht lang herum." Also hätten sie sich erhoben, ein Lied angestimmt, ihre Transparente ausgebreitet und auf die ersehnte Festnahme gewartet.
Die Pressestelle der Luftwaffe schildert den Vorfall weit weniger stimmungsvoll und detailreich. In groben Zügen bestätigt sie die Angaben jedoch: Fünf Aktivisten seien in jener Nacht in den militärischen Sicherheitsbereich eingedrungen, indem sie Zäune durchschnitten hätten. Sie seien mit Hilfe von Überwachungskameras beobachtet und von den Sicherheitskräften festgesetzt worden. Widerstand hätten sie nicht geleistet. Die Luftwaffe habe Anzeige erstattet und die Eindringlinge der Polizei in Cochem übergeben. "Alle Beschädigungen an den Zäunen wurden unmittelbar beseitigt", teilt ein Luftwaffensprecher mit. "Die militärische Sicherheit war durchgehend gegeben." Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die Aktivisten überhaupt nicht den Plan hatten, die Sicherheit zu gefährden - und dass sie sich zudem, anders als sie vermuteten, womöglich nicht in jenem Flugplatzteil befanden, wo die Bomben lagern.
"Es ist erschreckend, dass in einer Zeit erheblich erhöhter Terrorgefahr die Sicherheitsmaßnahmen eines solchen Geländes unter das Niveau eines Freizeitparks fallen", findet Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner. TV-Leser Michael Braschoss sagt, es sei offensichtlich, dass die Wachleute "nichts geregelt bekommen, wenn sie schon mit fünf Demonstranten überfordert sind".
Auch in Berlin scheint man mit dem Vorfall nicht allzu glücklich zu sein. "Zu den jetzigen oder künftigen Sicherheitsvorkehrungen im Fliegerhorst Büchel können wir uns aus nachvollziehbaren Gründen nicht im Detail äußern. Jedoch sind diese Teil unseres Absicherungskonzepts, das aufgrund des Vorfalls überprüft und nachjustiert wird", teilt die Luftwaffe auf TV-Anfrage mit. Es sei geplant, Zaunanlagen zu erneuern. Mehr ist nicht zu erfahren.
Wer wie Büntzly und der Bischof dagegen ist, dass in Deutschland Atombomben lagern, kann noch bis zum 9. August im Rahmen der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt" vor den Zäunen demonstrieren. Gut möglich, dass es inzwischen schwerer geworden ist, diese Zäune zu überwinden.Extra: EIN GEHEIMNIS, VON DEM JEDER WEIß


Es ist ein offenes Geheimnis, dass die 20 letzten US-Atombomben auf deutschem Boden im Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern. Zwar weisen die Luftwaffe oder das Verteidigungsministerium stets darauf hin, dass alles, was mit den Nuklearstreitkräften der Nato zu tun hat, aus Sicherheitsgründen den Geheimhaltungsregeln des Bündnisses unterliegt. "Dies gilt auch für Fragen nach Anzahl, Beschaffenheit und vermuteten Lagerorten von sowie dem Umgang mit Nuklearwaffen. Demzufolge werden Aussagen und Behauptungen hierzu weder bestätigt noch dementiert oder kommentiert", heißt es aus Berlin. Im Bundestag jedoch wird immer mal wieder ganz offen über die Bomben diskutiert, die in Büchel weiterhin in unterirdischen Magazinen liegen, obwohl der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag ihren Abzug vorgesehen hatte. Ex-Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte sich damals dafür ausgesprochen, die Bomben loszuwerden. Zuletzt debattierte der Bundestag im September 2015 auf Verlangen der Linksfraktion über das Thema. Linke und Grüne kritisierten die Modernisierung der Massenvernichtungswaffen und forderten die Bundesregierung auf, sich stattdessen endlich für den Abzug aus Deutschland einzusetzen. Die CDU hielt entgegen, dass es naiv sei, einseitig auf Atomwaffen zu verzichten, solange es keine atomwaffenfreie Welt gebe und Russland und andere Länder eine Bedrohung darstellten Die SPD betonte, die Bundesregierung werde sich weiter für eine "globale Nulllösung einsetzen". Über die Modernisierung entscheide allerdings der US-Kongress.Extra: BRISANTE STUDIE


(dpa) Im Jahr 2008 sorgte eine interne Studie der US-Luftwaffe für Aufruhr: Die meisten US-Atomwaffenlager in Europa entsprächen nicht den Sicherheitsstandards des US-Verteidigungsministeriums, hieß es damals. Unter anderem gebe es Probleme mit dem Sicherheitssystem, den Zäunen und bei der Gebäudestabilität. Einer der Standorte, bei denen Probleme festgestellt wurden, soll Büchel gewesen sein. Alle Bundestagsparteien - bis auf die Union - forderten damals den Abzug der Bomben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort