Geschwätz, Neurosen, Palaver

Köln. Fast ein Jahr lang hing Walter van Rossum jeden Sonntagabend an den Lippen einer Frau, die ihm gehörig auf den Wecker geht: Sabine Christiansen, deren ARD-Polit-Talkshow der Kölner Kulturkritiker 2003 regelmäßig beobachtete - "mit wachsendem Grauen", wie er sagt. Jetzt hat er juristischen Ärger mit der Talkerin.

In seinem pointiert und provokativ geschriebenen Buch "Meine Sonntage mit ,Sabine Christiansen' - Wie das Palaver uns regiert" lässt Walter van Rossum kein gutes Haar an der Show, der Moderatorin und ihren Talkgästen. Sabine Christiansen findet das Ganze freilich gar nicht komisch, sie ist nach Auskunft ihrer Pressesprecherin Stephie Hagelüken juristisch gegen das im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Buch vorgegangen. "Eine der Glanzleistungen dieses Sonntagspalavers besteht darin, die politischen Realitäten schlechthin hinter einer Orgie von Geschwätz zu verdecken", schimpft Walter van Rossum in dem 185 Seiten starken Werk. "Jeder dieser Katastrophentalks ist komplett austauschbar", schreibt er und bezeichnet die Sendung als "weekly soap (wöchentliche Seifenoper), die uns mit der Androhung des Untergangs unterhält und zur Belohnung damit winkt, dass es dann eventuell weitergeht, allerdings zu weitaus schlechteren Bedingungen". Das Christiansen-Studio in Berlin bezeichnet der Autor als "kugelförmiges Treibhaus, in dem die aktuellen politischen Neurosen gezüchtet werden". Das Pikante dabei: Der 50-jährige van Rossum moderiert unter anderem Radiosendungen im Westdeutschen Rundfunk, ist somit ein ARD-Kollege der von ihm gescholtenen Fernseh-Lady. Es gehe ihm aber auch gar nicht so sehr darum, Sabine Christiansen und ihrer Sendung an den Karren zu fahren, betont der Kritiker, sondern um das generelle Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Journalismus. Seitenweise zitiert er aus Auftritten von Angela Merkel, Edmund Stoiber, Dieter Hundt oder Wolfgang Clement in Christiansens Talkshow und zerpflückt ihre Aussagen über den Irak-Krieg, die Rentenreform oder Arbeitsmarktpolitik. Leider hinterfrage die Moderatorin selbst unglaubwürdige Behauptungen in der Sendung kaum, schimpft van Rossum. Dies alles schreibt der Autor betont polemisch, und stellenweise liest es sich recht amüsant. Wenn sich van Rossum aber zu der These versteigt, die Christiansen-Redaktion habe sich mit der politischen Klasse gegen den kleinen Mann verschworen, wird die Sache fragwürdig.Schmähschrift beschäftigt mittlerweile die Juristen

Er nennt die Moderatorin "eine der begabtesten und beflissensten Dienerinnen jener Klasse" und behauptet: "Sendungen wie ,Sabine Christiansen' sehen ihre Aufgabe darin, politische Vorgaben an die Öffentlichkeit propagandistisch durchzureichen - und nicht etwa die ziemlich trivialen Denkfehler aufzudecken." Logisch, dass die ARD-Lady sich über die Schmähschrift ärgert. Beim Streit zwischen ihr und van Rossums Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch geht es allerdings um eine Art Nebenkriegsschauplatz: die Behauptung, ein Berater von Finanzminister Hans Eichel arbeite auch für Christiansens Show, wo er für die Auswahl von Talkgästen zuständig sei. Kiepenheuer & Witsch hat bereits reagiert: In einer Unterlassungserklärung hat sich der Verlag verpflichtet, die entsprechende Behauptung in künftigen Auflagen des Buchs wegzulassen. Walter van Rossum: "Meine Sonntage mit ,Sabine Christiansen' - Wie das Palaver uns regiert." Kiepenheuer & Witsch, Köln, 8,90 €.

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