Gesetz der abseitigen Themen

Es gibt Phänomene im politischen Betrieb, die wird vermutlich nie ein Sozialwissenschaftler in eine Formel fassen oder prognostizieren können, obwohl sie regelmäßig auftreten und stets von ähnlicher Qualität sind.

Zu dieser Kategorie der "gefühlten Gesetzmäßigkeit" zählt, dass immer wieder Themen produziert werden, bei denen die tatsächliche Bedeutung in keinem Verhältnis zur Lautstärke der Debatte darüber steht. Es ist nicht vorhersehbar, aus welcher politischen Ecke sie kommen. Nur dass diskussions-intensive Themen von eher marginaler Bedeutung auftauchen, ist ganz sicher. Mehr noch: Es gibt sogar eine Art Nachschub-Lieferung. Denn hat eines dieser Themen endgültig seine Dynamik verloren, liefert irgendein Hinterbänkler oder ein Parteitag nahezu postwendend Ersatz. Exemplarisch ist dieser Prozess zu beobachten an den Themen Nichtraucher-Schutz und Tempolimit: Kaum haben die meisten Länder mit mehr oder weniger schlüssigen Vorschriften auf die Forderungen nach einem Schutz von Nichtrauchern vor blauem Dunst in öffentlichen Räumen und Kneipen reagiert, liefern die Delegierten des SPD-Parteitags mit ihrem Beschluss, generell nur noch Tempo 130 auf deutschen Autobahnen zuzulassen, den nächsten Ansatz für ausufernde Debatten mit Horrorszenarien auf beiden Seiten. Ganz unabhängig davon, ob es am Ende - ähnlich wie bei allen europäischen Nachbarn - ein Tempolimit auf allen deutschen Autobahnen geben wird oder nicht: Fest steht schon jetzt, dass diese zusätzliche Vorschrift genauso stark zum Klimaschutz beitragen wird, wie das Rauchverbot in Kneipen zur Erhöhung der Volksgesundheit, nämlich fast überhaupt nicht. Allerdings wird ein Tempolimit auch nicht - wie von Kritikern prophezeit - Tausende von Arbeitsplätzen kosten. Genau wie die uneinheitlichen Nichtraucher-Schutzvorschriften der Bundesländer auch nicht zu einem massenhaften Kneipensterben führen werden. Ein interessanter Aspekt ist, dass die Bundesebene in den vergangenen Jahren das Delegieren der Entscheidung an die Länder als probates Mittel der Bearbeitung solcher "Viel-Lärm-um-fast-nichts-Themen" entdeckt hat. Neben dem Nichtraucher-Schutz war auch der Ladenschluss ein schönes Beispiel. Das Ergebnis sind nicht nur uneinheitliche Regelungen, sondern auch eine spürbare Erhöhung der Halbwertszeit. Denn die Debatte zieht sich bei diesem Vorgehen natürlich deutlich in die Länge. Man darf gespannt sein, ob es am Ende auch von Land zu Land unterschiedlich umfangreiche Geschwindigkeitsbeschränkungen geben wird. Da es weder in besonderer Weise schaden würde, noch in großem Maße nützlich wäre, kann man selbst einem solchen Ergebnis gelassen entgegensehen. Man sollte sich von solchen Debatten nur nicht allzu sehr von den wirklich wichtigen Themen ablenken lassen. l.ross@volksfreund.de

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