Gespaltene Gastgeber

Stralsund. So etwas haben die Bewohner von Stralsund lange nicht erlebt: Der Besuch von US-Präsident George W. Bush versetzt die Hansestadt in den Ausnahmezustand:

Mit Belagerungszuständen kennt sich diese Stadt aus. 1628 standen die kaiserlichen Truppen Wallensteins vor den Toren Stralsunds, 1715 kamen die Dänen und vertrieben die Schweden, 1807 folgten die Franzosen. Nun sind es die Amerikaner, die die Hansestadt im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern fest in ihrem Griff haben. Doch zur Belagerung gehört auch immer Widerstand: Volker Schulz ist einer von denen, die ihn anführen. Hubschrauber kreisen über dem historischen Stadtzentrum, Kampftaucher versinken in den städtischen Gewässern, allein 160 Sprengstoffhunde sind im Einsatz, um in Bauschuttcontainern und Kellern möglichst oft nach Bomben zu suchen. Männer in dunklen Anzügen, groß und breit wie die Schränke aus den US-Agentenfilmen, sieht man neben Hunderten von Uniformierten an jeder Straßenecke. Sie filmen, prüfen, versiegeln Gullydeckel, lassen Garagen oder Hinterhöfe räumen und beobachten die Passanten; das schon seit einigen Wochen. Über 12 000 Polizisten sind inzwischen in Stralsund im Einsatz. Seit gestern Abend ist der mächtigste Mann der Welt, US-Präsident George W. Bush, zu Besuch in der ostdeutschen Provinz. Welcome, Mr. President? Stralsund ist genervt. Die Innenstadt ist rote, weil verbotene Zone; drum herum gilt "gelb", Zugang nur mit besonderen Pässen. In ihrer Haltung zum Bush-Besuch sind die Bewohner ähnlich zerrissen. "Der soll abhauen", winkt eine Frau ab. "Was das alles kostet", meckert sie. Vor allem die Einzelhändler vom Bäcker bis zum Buchhändler sind sauer. Sie müssen heute ihre Geschäfte geschlossen halten. Dafür hat ihnen der Oberbürgermeister einen verkaufsoffenen Sonntag als Ausgleich versprochen. Andere wiederum sind stolz: "Vielleicht hilft uns der Besuch auch ein wenig wirtschaftlich", hofft ein Mann. Schließlich seien 20 Prozent der Menschen arbeitslos.Stralsund hat sich herausgeputzt

Stralsund hat sich herausgeputzt und gerüstet, weil es einen Wimpernschlag lang im Weltinteresse steht. Heute wird der Präsident im Stadtzentrum von Kanzlerin Angela Merkel vor historischer Kulisse empfangen: Auf dem Alter Markt, der umringt ist von den schönsten Profanbauten norddeutscher Backsteingotik. Mit dabei sind 1000 ausgewählte Bürger. Der US-Präsident wollte nicht erneut wie im Februar 2005 in Mainz eine Geisterstadt erleben. Ein Arbeitsbesuch in der Heimat der Kanzlerin soll es sein auf dem Weg zum G-8-Gipfel nach St. Petersburg. Fast alle Krisenherde dieser Welt werden angesprochen werden, heißt es aus Regierungskreisen: Iran, Irak, Afghanistan, der Nahe Osten und der Sudan. Dazu die weltweite Klima- und Energieproblematik. Die deutsche Seite erwartet zudem, dass Merkel klare Worte zum US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba findet. "Offen und kontrovers" könne man mit dem Präsidenten durchaus reden, lässt die Kanzlerin wissen. Bush werde zwar zuhören, seine Entscheidungen fälle er aber nach US-Interessen, heißt es von amerikanischer Seite. Das verblüfft nicht. Wenn beide also auf dem Alter Markt stehen, und ihre kurzen Reden halten, dürfte ihnen ein pikantes Detail nicht entgehen. Schräg rechts vom Rednerpodest wehen sie ihm Wind: zehn Regenbogenfahnen mit der Aufschrift "Peace" (Frieden). Volker Schulz, Regionsvorsitzender des DGB, hat sie extra gekauft und damit das Gewerkschaftshaus beflaggt. "Wir wollen zeigen, dass wir für eine aktive Friedenspolitik sind", sagt Schulz sichtlich stolz. Denn irgendwie ist ihm auch ein Coup gelungen: "Uns gehört das Haus, und es sind keine hoheitlichen Fahnen" - also kann ihn auch keiner auffordern, sie abzunehmen. Jens Peiser hat die amerikanische Fahne aus dem Fenster gehängt, seine Rechtsanwaltskanzlei befindet sich schräg gegenüber dem Gewerkschaftshaus im ersten Stock eines schönen Altbaus. "Das ist eine Sache der Höflichkeit", sagt der Anwalt. "Bushs Politik ist das eine, aber Gäste empfängt man freundlich." Stralsund ist gespalten. Gäste verwöhnt man aber auch. Heute Abend lädt die Kanzlerin den Präsidenten in das nahe Dorf Trinwillershagen zur "zwanglosen Grillparty" ein. Schon die SED-Führung führte Staatsgästen in die damalige Muster-LPG "Rotes Banner". Dort wird Merkel also Bushs entfachte Neugierde an der ehemaligen DDR, an Ostdeutschland und der Vergangenheit der Kanzlerin befriedigen. Ein 30 Kilo schweres, frisch erlegtes Wildschwein wird sich bei der Party am Spieß drehen und neben Hirsch und Ente als vertrauensbildende Maßnahme verspeist werden. Eingeladen sind 50 Gäste. Dem Vernehmen nach kommt diesmal auch einer, den man sonst ganz selten in der Öffentlichkeit sieht: Merkels Mann Joachim Sauer.

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