Gesprächsmarathon zur Gesundheitsreform

BERLIN. Seltsam, da sitzen die Gesundheitsexperten der großen Koalition mit Ulla Schmidt an einem Tisch, aber über ihre konkreten Vorstellungen zur geplanten Gesundheitsreform verliert die zuständige Ministerin kein Wort. Genauso soll es nach Angaben von Teilnehmern gewesen sein, als man sich gestern Morgen zur wöchentlichen Routine-Runde traf.

Am Abend zuvor hatte die SPD-Politikerin fast drei Stunden lang über ihre Reformideen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konferiert. Am Ende galt ebenfalls die oberste Geheimhaltungsstufe. Der Grund für die konspirativen Umstände ist simpel: Will die Ministerin mit ihrem Konzept im Spiel bleiben, dann darf es nicht gleich zerredet werden. Der vertrauliche Plausch im Kanzleramt war dann auch lediglich das Vorspiel für einen Gesprächsmarathon, der mindestens bis zur Sommerpause andauern dürfte und am heutigen Mittwoch seinen ersten Höhepunkt erfährt: In Abwesenheit von Ulla Schmidt (SPD) kommen Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), sein Parteichef Matthias Platzeck, die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Union, Peter Struck und Volker Kauder, sowie CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer und der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber mit Regierungschefin Angela Merkel zusammen, um einen "dritten Weg" zwischen dem sozialdemokratischen Konzept der Bürgerversicherung und der Unionsidee einer Gesundheitsprämie zu ebnen. Es wird erwartet, dass die Koalitionsspitzen dabei das organisatorische Verfahren klären und die Reform-Ziele definieren.Künftig jeder Bürger versichert?

Nach den Vorstellungen der SPD geht es um wenigstens drei Mindestanforderungen: Die Finanzbasis des Gesundheitssystems soll verbreitert werden, indem auch Kapitaleinkünfte einer Beitragspflicht unterliegen. Zum Zweiten soll künftig jeder Bürger versichert sein. Vor allem durch Brüche in der Erwerbsbiografie stehen heute schätzungsweise bis zu 400 000 Menschen ohne Versicherungsschutz da. Tendenz steigend. Und drittens soll die Finanzreform durch eine Strukturreform ergänzt werden. Die Stichworte lauten: mehr Wettbewerb und bessere Qualität. Experten schätzen, dass sich allein durch die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung mittelfristig zehn Milliarden Euro einsparen lassen. "Wer glaubt, nur mehr Geld könne alle Probleme zu lösen, der springt zu kurz", sagte die für Gesundheitsfragen zuständige SPD-Fraktionsvize Elke Ferner unserer Zeitung. Unter dem Strich soll das Lösungsmodell so viel Spielraum lassen, dass SPD und Union nach einem möglichen Regierungswechsel im Jahr 2009 ihre jeweils eigenen Vorstellungen "draufsatteln" können. Diesen Vorsatz können natürlich auch die Christdemokraten unterschreiben. Sie machen sich dafür stark, die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abzukoppeln. Dazu soll der Beitragsanteil der Arbeitgeber eingefroren und eine Kopfpauschale (Gesundheitsprämie) eingeführt werden, die unabhängig vom Arbeitseinkommen anfällt. Konträre Modelle sind kombinierbar

Beide Forderungen lehnt die SPD bislang ab. Alternativ hat die Union einen "Gesundheitssolidaritätszuschlag" von ein bis zwei Prozent angeregt, der entweder auf die Einkommenssteuer oder das Bruttogehalt fällig würde. Diese Idee findet auch in Teilen der SPD Anklang. Ihrem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach schwebt schon lange eine stärkere Finanzierung aus Steuermitteln vor, mit der sich die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern im Umfang von etwa 14 Milliarden Euro ausgleichen ließe. Im Ergebnis könnte der Kassenbeitrag um etwa 1,5 Prozentpunkte sinken. Dagegen stehen jedoch die Bedenken von SPD-Fraktionschef Struck, der angesichts einer bereits verabredeten Mehrwertsteuererhöhung vor weiteren Steueranhebungen warnt. Der Grundgedanke einer stärkeren Steuerfinanzierung zeigt jedoch, dass die konträren Modelle Kopfpauschale und Bürgerversicherung sehr wohl kombinierbar sind. Was immer die Spitzenrunde heute in Berlin zur Finanzierung beschließt - nötig ist ein Mammutbetrag von rund 145 Milliarden Euro. So viel haben die gesetzlichen Krankenkassen im Vorjahr ausgegeben. Bliebe alles wie gehabt, dann hätten die Assekuranzen schon 2007 mit einem Loch von wenigstens fünf Milliarden Euro zu kämpfen. Für den SPD-Experten Karl Lauterbach steht daher auch fest, dass es keine halbherzigen Vereinbarungen geben darf: "Wenn es ein Formelkompromiss ist, dann wird der im Jahr 2007 schon entlarvt werden."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort