Gezänk am Tag des Gedenkens

BERLIN. Die Trauer um die vier toten Bundeswehrsoldaten wird von parteipolitischem Gezänk überlagert. Nach dem Attentat von Kabul hat die Union mit der Regierung einen Streit um die Auslandseinsätze begonnen.

Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) überlegte gestern einen Moment, wie er seine Worte wählen sollte. Dann brach es aus ihm heraus: Es sei "völlig unangemessen, über den Särgen" der vier am Samstag in Kabul getöteten deutschen Soldaten über mögliche Versäumnisse der politischen oder militärischen Führung zu debattieren, meinte der noch sichtlich von den Ereignissen betroffene Minister erzürnt in deftiger Tonart. Schuld hätten der Selbstmordattentäter "und die Leute, die hinter ihm stehen", donnerte er. Dennoch, mit dem schrecklichen Attentat in Afghanistan hat sogleich wieder der politische Streit um den Schutz der Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen, um ihre Ausrüstung und Ausbildung begonnen. Ein "Ärgernis", wie der neben Struck stehende Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, vor der Presse ebenso meinte.Für den obersten Soldaten ist nämlich völlig klar, dass es vor Terroranschlägen keinen absoluten Schutz geben kann. Überdies sind sich Schneiderhan und Struck einig, die Truppe am Hindukusch ist gut ausgerüstet und ausgebildet, wird gut geführt und verfügt über ein solides Mandat. Dass die Union am Dienstag als eine Konsequenz aus dem Attentat erneut forderte, die Deutschen innerhalb der internationalen Afghanistan-Schutztruppe (Isaf) mit schweren Panzern auszustatten, wischte der Generalinspekteur mit den überaus unübersichtlichen Gegebenheiten vor Ort beiseite: 20 000 Taxis gebe es in Kabul, dazu Eselskarren und zahlreiche am Straßenrand geparkte LKW. Wie reagieren in einer Verdachtssituation - gleich schießen? Zu viele, gab Schneiderhan seinen Unmut zu Protokoll, würden sich jetzt zu Wort melden, "die vielleicht mal einen Schnupperkurs bei der Bundeswehr gemacht haben". Trotz der Attentate geht der Minister nicht davon aus, dass die Unterstützung der Bevölkerung für die Friedenseinsätze der Bundeswehr im Ausland abnimmt.Die Debatte über die Sicherheit deutscher Soldaten und den Sinn der gefährlichen Auslandsmissionen ist aber nun mal wieder entflammt. Die Bundesregierung will ihr Engagement beim Kampf gegen den Terrorismus jedoch nicht ändern und keinen Kurswechsel vornehmen - "so tragisch und so schwierig der Umgang mit diesem Anschlag ist", meinte gestern Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einem Treffen mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac in Berlin. Die Debatte darüber passen dem Kanzler und seinem Verteidigungsminister allerdings nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zu dem "feigen und hinterhältigen Selbstmordanschlag" (Struck) nicht in den Kram. Sie kommt auch deshalb ungelegen, weil gestern ein Erkundungsteam startete, dass eine Ausweitung des Einsatzes über Kabul hinaus prüfen soll. Und die nächste Aufgabe für die Truppe, die derzeit bereits rund 9000 Soldaten in anderen Ländern im Einsatz hat, steht schon an - am 18. Juni soll der Bundestag über eine Beteiligung an der UN-Mission im Kongo entscheiden. Dabei sollen die deutschen Soldaten aber keine Kampfverbände stellen.

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