Gezeichnet von der irakischen Hölle

BERLIN. Die beiden Irak-Geiseln René Bräunlich und Thomas Nitzschke sind zurück in Deutschland. Nach 99 Tagen in Geiselhaft landeten die beiden Ingenieure auf dem Flughafen Berlin-Tegel.

Mit wackeligen Schritten gehen sie die wenigen Meter von der Gangway zu den Mikrofonen. Es ist Mittwoch, 3. Mai, 14.22 Uhr. Hundert Tage nach dem Überfall in Bedschi, Zentralirak. Hundert Tage, nachdem die Hölle für René Bräunlich und Thomas Nitzschke begann. In Berlin scheint die Sonne, als die Tür der dreistrahligen Dassault-Falcon aufgeht und die beiden Leipziger ihrem Heimatland zurückgibt. Im Hintergrund startet eine Urlaubermaschine. Beide tragen grüne Blousons, blaue Hosen, braune Schuhe. Die Kleidung, schnell von der Botschaft in Bagdad besorgt, schlackert an ihren Körpern. Ihre Augen sind rot und dunkel umrandet, die Gesichter dem Weinen nahe. René Bräunlich und Thomas Nitzschke haben die Geiselhaft überstanden. Aber nicht gut. 143 Journalisten sind nach Berlin-Tegel geeilt, zum militärischen Teil des Flughafens. Dort wo die Regierungsmaschinen starten und landen. Zehn Übertragungswagen haben sich aufgebaut, ein Reporter diskutiert gerade live mit einem Experten, als die Maschine landet. "Wahrscheinlich werden sie erst einmal von den Sicherheitsexperten befragt, das ist üblich", hört man den Experten im Hintergrund sagen. Angela Merkel ist nur eineinhalb Stunden vorher nach Washington abgeflogen. Sie konnte die Geiseln nicht mehr begrüßen, weil sie dann den Termin abends bei US-Präsident George Bush verpasst hätte.Ein Empfang ohne große Emotionen

Reporter jubeln nicht, Reporter warten nur auf Töne und Bilder. Niemand antwortet auf die Emotionen, die in den beiden in diesem Moment vorgehen müssen. Die Leipziger fehlen hier, die all die Wochen an der Nikolai-Kirche gebetet und gehofft haben. Sie wollen am Montag einen großen Gedenkgottesdienst abhalten. Es fehlen die Mannschaftskameraden von Grün-Weiß Miltitz. Es fehlen die Kollegen von der Firma Cyrotec, für die die beiden jene verhängnisvolle Mission in den Irak unternommen haben. Und es fehlen die Familien. Drei Minuten dauert die Medienzeremonie, dann dürfen die Entführten in einen Kleinbus steigen und zu ihren Angehörigen fahren. Die warten an einem geheimen Ort in der Nähe Berlins. René Bräunlich geht als erster an die Mikrofone. Seine Stimme ist brüchig. "Wir hatten eine schwere Zeit", sagt er. Er bedanke sich bei allen, "ganz besonders bei meiner Familie, die immer stark war und immer hinter mir gestanden hat". Thomas Nitzschke sagt: "Wir sind sehr froh noch am Leben zu sein, was für uns nicht selbstverständlich ist". Wie er das so sagt, leise in den Berliner Frühling hinein, ahnt man auf einmal, welches Grauen die beiden hinter sich haben. Botschafter Bernd Erbel, der mit nach Deutschland geflogen ist, nimmt René Bräunlich vorsichtig in den Arm. Dieser lächelt kurz. Es bleibt das einzige Mal. In München ist die Maschine zuvor zwischengelandet, hat einige Beamte aus- und den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Reinhard Silberberg, zusteigen lassen. Silberberg hat den Krisenstab geleitet. Er wirkt nun stolz und glücklich. Und noch ein Geheimnis gibt es. Die Frage nach dem Lösegeld. Kein Wort davon bei Silberberg. Aber der irakische Botschafter in Berlin, Alaa Al-Hashima, redet an diesem Tag von einem kriminellen Hintergrund und davon, dass wohl "eine Menge Geld geflossen" sei. Und noch einer plaudert: Silberbergs Kollege, der parlamentarische Staatssekretär Gernot Erler. Erler bestätigt im Fernsehen im Grunde die Angaben des irakischen Botschafters. Er redet von einer "regelrechten Geiselindustrie", und berichtet auch, dass es aufgrund der Analyse der Geisel-Videos schon früh Hinweise gegeben habe, dass man es mit Erpressern zu tun habe. Gleichzeitig bittet Erler darum, jeden Hinweis zu unterlassen, dass möglicherweise Lösegeld gezahlt wurde. Dadurch könnten Nachahmungstaten ausgelöst werden. Die Warnung, Reisen in den Irak zu meiden, gelte fort.

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