Gipfel der Treueschwüre

Die Parteichefs demonstrieren Einigkeit, doch darüber hinaus hat das Berliner Gipfeltreffen am Montagabend keine konkreten neuen Erkenntnisse gebracht. Union und FDP haben aber immerhin Kommunikationsprobleme ausgemacht - und wollen sie auch beheben.

Berlin. Wenn Prominente in Berlin ungestört essen, aber gesehen werden wollen, gehen sie ins "Borchardt". Dieses Restaurant hat praktisch einen direkten Draht zur Klatschpresse. Und so war es kein Wunder, dass in einer großen Boulevard-Zeitung gestern ein Foto vom Treffen der drei Koalitionsspitzen Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) auftauchte, aufgenommen Sonntagabend in besagtem Lokal bei Wein und Steak-Tartare. Krise? Welche Krise, lautete die Botschaft der drei.

Horst Seehofer sprach anderntags von einer "sehr entspannten Atmosphäre" und erzählte, so etwas wolle man jetzt öfter machen. Monatlich, wenn es gehe. Guido Westerwelle fand nicht nur das Klima, sondern auch das Ergebnis "außerordentlich konstruktiv und gut". Es besteht im Steuerstreit aus drei Sätzen. Seehofer hatte sie sich aufgeschrieben und kramte seinen Zettel raus wie einst Günter Schabowksi am 9. November 1989 die Ankündigung über die DDR-Reisefreiheit. "Wir werden entsprechend dem Koalitionsvertrag die große Steuerstrukturreform umsetzen", lautet Satz eins.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner jubelte, es sei ein "gutes Signal, dass damit die Gültigkeit des Koalitionsvertrages bestätigt worden ist". Die Liberalen hatten Sorge, der Koalitionspartner wolle von der versprochenen Reform ganz Abstand nehmen. CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble war noch gestern mit einem Interview auf dem Markt, in dem er nicht nur offenließ, wie die Reform komme, sondern auch, ob überhaupt. Dieses Interview habe Schäuble, meinte Seehofer, sicher schon vor dem Gipfel gegeben. Das Ob jedenfalls sei entschieden. "Wir machen das". Aber das Wie? Dazu Satz zwei der Vereinbarung: "Einzelheiten werden im Lichte der aktualisierten Wirtschafts-, Wachstums- und Steuerdaten nach der Steuerschätzung im Mai erarbeitet und entschieden".

Die Frage bleibt: Ab wann gibt es Geld?



Alle, die es schon vorher genauer wissen wollen, müssen also warten. Auch die Wähler in Nordrhein-Westfalen.

In ihrem dritten Beschlusssatz legten die drei Vorsitzenden fest, wie umfangreich die Entlastung werden soll. "Von den vereinbarten 24 Milliarden Euro haben wir bereits Familienentlastungen von 4,6 Milliarden durchgesetzt". 19,6 Milliarden Euro dürfen die Bürger also zurückerwarten. Bleibt die Frage: Ab wann? Schabowski hatte seinerzeit "ab sofort" geantwortet und damit den Sturm auf die Mauer ausgelöst. Die Koalitionspolitiker hingegen schwiegen gestern zum Zeitpunkt eisern. "Diese Frage stellt sich nicht", sagte Seehofer, als ein Journalist sie ihm gerade stellte.

Immerhin, auch die anderen Streitpunkte wurden angesprochen. Im Konflikt um die Stiftung Vertreibung sollen jetzt die drei Fraktionschefs von CDU, CSU und FDP unter Moderation von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) zusammen mit den Vertriebenen einen Kompromiss finden. Bei der Gesundheitsreform wird eine Regierungskommission gebildet. Und die Neuorganisation der Job-Center soll im Rahmen eines laufenden Vermittlungsverfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat mitgeregelt werden.

Die Hoffnung der drei Vorsitzenden ist es, dass diese Zeit- und Arbeitspläne nun nicht wieder ständig durch Forderungen aus den eigenen Reihen begleitet werden. Gleich zu Beginn ihres Treffens hatten die drei Parteichefs nämlich Kommunikationsprobleme festgestellt und sich gegenseitig Abhilfe versprochen. So seien zum Beispiel "die gewaltigen Leistungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes" überhaupt nicht vermittelt worden, sagte Seehofer. "Nicht die Presse war das Problem, das waren schon wir selbst". Die Kakophonie soll aufhören und durch "christlich-liberalen Gemeinschaftsgeist" ersetzt werden, versprach man sich. Allerdings räumte der CSU-Chef ein, dass auch er letztlich keine Sanktionsmöglichkeiten hat, wenn sich einer aus seiner Partei nicht daran hält. Und Lindner fing seitens der FDP keine 24 Stunden nach dem Gipfel schon wieder mit Sticheleien an. Auch "mancher in München", sagte er, solle sich jetzt "in sein Hausaufgabenheft schreiben", dass die Phase der Selbstfindung der Koalition vorbei sei.

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