Graf Koks und die Proletarier

Wenn zwei Drittel der Deutschen die harsche Kritik von SPD-Chef Müntefering an der Wirtschaft teilen, dann ist das ein alarmierendes Zeichen. Da geht der letzte Rest jenes Konsenses über Bord, der das Land in den letzten 60 Jahren zusammen gehalten hat

Wenn zwei Drittel der Deutschen die harsche Kritik von SPD-Chef Müntefering an der Wirtschaft teilen, dann ist das ein alarmierendes Zeichen. Da geht der letzte Rest jenes Konsenses über Bord, der das Land in den letzten 60 Jahren zusammen gehalten hat: Dass Wirtschaft und Staat, Bürger und Unternehmen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam besser über die Runde kommen als im Kampf gegeneinander.Die Wirtschaft und ihre führenden Ideologen dürfen sich darüber nicht wundern. Wer wie der Chef des Ifo-Instituts die nackten Regeln des Marktes in den Rang eines Naturgesetzes erhebt, wer Massenentlassungen nonchalant als Fußnote einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung verkündet, der muss irgendwann mit einem entsprechenden Echo rechnen. Wer auftritt wie Graf Koks, sollte auch schon mal eine proletarische Tonart auf der Gegenseite aushalten.Und trotzdem bringt es wenig, den Verstand auszuschalten. Ökonomie ist per se keine Sache der Moral. Deshalb ist der Chef der Deutschen Bank kein Schurke, wenn er das tut, was seine Aktionäre von ihm erwarten und was seine Konkurrenz ihm aufzwingt. So wenig wie der Manager einer gutgehenden Konzern-Filiale, der Leute entlässt, damit die Bilanz des Gesamt-Unternehmens stimmt. Münteferings personalisierte Attacken suggerieren eine Entscheidungsfreiheit, die es für die meisten Entscheider längst nicht mehr gibt. So schafft man Sündenböcke, keine Lösungen. Es ist keine Frage des guten Willens einzelner, ob wirtschaftliche Prozesse menschliche Belange berücksichtigen können. Es ist eine Frage der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Und da hat die amtierende Bundesregierung in den letzten Jahren alles getan, um rabiaten, arbeitsplatz-vernichtenden Groß-Unternehmen das Geldverdienen zu erleichtern – und wenig, um etwa Mittelständlern zu helfen, weiter Personal beschäftigen zu können.Da helfen auch keine Boykott-Aufrufe, da hilft nur eine bessere Politik. Und ein geändertes Verbraucher-Verhalten. Auch der gutwilligste Unternehmer baut Personal ab, wenn seine Kundschaft nicht bereit ist, für gute Beratung und hohe Qualität Geld auszugeben und stattdessen lieber dem "Billig-billig-billig"-Schild bei der Konkurrenz nachläuft. d.lintz@volksfreund.de

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