"Größtmögliche Präsenz" morgens um acht

Berlin · Bei der Ehe für alle kommt es am Freitag zum Showdown im Deutschen Bundestag. Das Koalitionsklima ist schon vorher vergiftet.

 Klare Aussage: Demonstranten setzen sich in Berlin dafür ein, dass alle Menschen heiraten dürfen. Archiv-Foto: dpa

Klare Aussage: Demonstranten setzen sich in Berlin dafür ein, dass alle Menschen heiraten dürfen. Archiv-Foto: dpa

Foto: Paul Zinken (dpa)



Berlin Die Parlamentsgeschäftsführer sind für den Showdown jetzt besonders gefordert: Sie müssen am Freitagmorgen für "größtmögliche Präsenz" sorgen, wie es heißt - jeder sollte an Bord sein. Denn die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind pikant: SPD, Linke und Grüne verfügen über 320 Abgeordnete, die Union über 309 plus der fraktionslosen Konservativen Erika Steinbach. Tritt Rot-Rot-Grün gegen acht Uhr nicht geschlossen an, droht womöglich eine bittere Schlappe. Dann könnte die "Ehe für alle" noch scheitern.

Deswegen wird derzeit viel telefoniert, geredet und intensiv an die knappen Mehrheitsverhältnisse erinnert. Nachdem der Rechtsausschuss des Bundestages gestern mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün und gegen die Union den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ehe für alle hat passieren lassen, muss das Plenum am Freitag einen Aufsetzungsantrag beschließen. Da will die Union noch einmal mauern.
Erhält der Antrag die rot-rot-grüne Mehrheit, soll am frühen Nachmittag im Bundestag debattiert und in namentlicher Abstimmung über die völlige Gleichstellung homosexueller Paare entschieden werden. Damit jeder genau weiß, wer dafür und wer dagegen war. Bei diesem entscheidenden Votum können die Abgeordneten von CDU und CSU dann frei nach ihrem Gewissen entscheiden.

Der Beschluss sei "schon lange überfällig", meinte gestern dazu SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht. Freilich nur aus Sicht der Genossen. Zahlreiche Abgeordnete bei CDU/CSU sind sauer darüber, wie die Sozialdemokraten sich verhalten haben, nachdem die Kanzlerin das Thema mehr oder minder ungeschickt zur Gewissensfrage erklärt hatte (siehe TV-Ausgabe vom 28. Juni).
Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer (CDU) betonte, er rechne von Unionsseite mit einer großen Mehrheit gegen die Einführung der Homo-Ehe. Vielen in der Union sei "der Schutz von Ehe und Familie ein wichtiges Thema", außerdem wolle man der SPD ihr "unseriöses Verhalten nicht durchgehen" lassen.

Die Hauptvorwürfe gegen die Genossen lauten: "Vertragsbruch" und "Verstoß gegen die Koalitionsdisziplin". Letztere besagt, dass die Partner nicht mit der Opposition stimmen und nur einvernehmlich Anträge in den Bundestag einbringen. Lambrecht wollte den Vorwurf allerdings nicht gelten lassen: "Wir haben keinen Vertragsbruch begangen." Die Kanzlerin habe das Votum über die "Ehe für alle" freigegeben, dann dürfe man auch nicht das Zustandekommen der Abstimmung verhindern wollen. "Einen größeren Widerspruch gibt es nicht", stichelte Lambrecht.

Fest steht freilich: Das Koalitionsklima ist auf den letzten Metern der Legislaturperiode vergiftet. Bei der SPD stellt man sich schon darauf ein, dass die Union die erstmalige rot-rot-grüne Kooperation im Bundestag im Wahlkampf ausschlachten wird. Gleichzeitig hoffen führende Genossen aber, dass die klare Kante gegen Merkel und ihre Partei die eigenen Leute motiviert - und Wähler beeindruckt. Demgegenüber steht bei der Union auch das Verhalten der Kanzlerin in der Kritik: "Für die Partei wäre es gut, wenn wir unterscheidbar blieben", kommentierte Wolfgang Bosbach (CDU), Mitglied des konservativen Berliner Kreises, vielsagend. CSU-Mann Hans-Peter Friedrich malte sogar schwarz: "Es geht um die weitere Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung", so der frühere Innenminister. Er gilt nicht gerade als Freund der Kanzlerin.

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