Große Ziele mit kleinen Bussen

Vor Ort in den Wahlkampf ziehen ist für die Politiker bei der allgemeinen Politik- und "Promi"-Verdrossenheit ein mühsames Geschäft. Das erleben zurzeit auch die Spitzenvertreter der Grünen, die - allen voran Jürgen Trittin - mit Kleinbussen durch die Lande ziehen.

Berlin. Jürgen Trittin ist ein paar Minuten zu früh. So kann er sich in Ruhe umschauen, und was er vorfindet, will ihm gar nicht gefallen. Ein eher notdürftig zusammengezimmertes Rednerpult, zwei grüne Sonnenschirme, ein paar bunte Luftballons. Das soll für den Auftritt des grünen Parteipromis aus Berlin reichen. Trittin nimmt Irene Mihalic, die Frontfrau des grünen Stadtverbandes Gelsenkirchen, zur Seite und murmelt etwas von "Handreichung", in der man doch nachlesen könne, dass Musik nötig sei, damit die Menschen stehen blieben. Prompt wird die Beschallung aktiviert. Doch das Echo bleibt dürftig. Die allermeisten Passanten laufen achtlos vorbei.

Wahlkampf ist ein mühsames Geschäft. Zumal in einem krisengeschüttelten Ort wie diesem. Der wirtschaftliche Niedergang lässt sich in der Fußgängerzone der Ruhrgebietsstadt mit Händen greifen. Hinter den Sonnenschirmen steht ein großes weißes Gebäude leer. Hier war bis vor ein paar Monaten noch Sinn Leffers im Geschäft. Gleich nebenan hat ein Textilmarkt dicht gemacht. Schräg gegenüber werben Billigläden um Kunden. Und dazwischen steht Jürgen Trittin, um den Leuten zu sagen, warum sie Grün wählen sollen. Gut 20 Minuten lang redet der 55-Jährige gegen die "Promiverdrossenheit" der Gelsenkirchener an. So hat es jedenfalls ein örtlicher Grüner beobachtet. Kürzlich sei der Müntefering hier gewesen, berichtet er. Bierausschank, lecker Würstchen, Hüpfburg für die Kinder. Das volle Programm. "Aber nur 30 Leute haben ihm zugehört", sagt der Grüne. Dabei ist die Stadt immer noch so etwas wie SPD-Kernland.

Auch Trittin spricht in der Fußgängerzone über die Sozialdemokratie. Die habe "ein Problem, gegen Schwarz-Gelb zu mobilisieren". Schließlich hätten die Genossen in der Großen Koalition vier Jahre lang alles mitgemacht. Die Verhinderung einer Koalition aus Union und FDP gehört zu den zentralen Zielen der Grünen bei der Bundestagswahl. "Schwarz-Gelb sind die Warnfarben vor Radioaktivität", wettert Trittin in fast jeder seiner Reden. Welche Farben eine künftige Regierung mit grüner Beteiligung haben könnte, lässt sich nicht so plakativ beantworten. Im Frühjahr hatten sich Trittin und seine Co-Spitzenkandidatin Renate Künast dafür starkgemacht, auf eine Ampel, also die Gemeinschaft mit der SPD und den Liberalen, zu setzen. Doch der Basis grauste es bei dem Gedanken, mit Guido Westerwelle gemeinsame Sache zu machen. So wurde der Plan fallengelassen. Eine alternative Machtperspektive aber gibt es auch nicht. Doch Trittin lässt sich nicht entmutigen. Würde die Partei wieder zur drittstärksten Kraft aufsteigen, also vor der FDP liegen, dann, so sein Kalkül, wäre ein Dreierbündnis keine Utopie. Am Ende gehe es doch darum, ob sich die FDP wirklich den "Schwarzen Peter" für eine Neuauflage der Großen Koalition zuschieben lassen wolle, analysiert Trittin.

Beim Wahlkampf vor vier Jahren konnte die Partei noch ihren Superstar Joschka Fischer aufbieten. Der grüne Übervater tourte mit einem großen Reisebus durchs Land, und wo er auftrat, waren die Plätze gut gefüllt. Nun haben gleich vier Damen und Herren aus der grünen Chefetage Fischers Erbe angetreten. Neben Trittin und Künast sind auch die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir auf Achse. Und gereist wird nicht mehr im großen Brummer, sondern mit vier knallgrünen Kleinbussen der Marke Opel.

Im grünen Vorzeige-Quartett ist Trittin, der ehemalige Bundesumweltminister, die zentrale Figur. Nicht nur wegen seiner stattlichen Köpergröße von 1,95 Metern. Der gebürtige Bremer hat es in den vergangenen Jahren geschickt verstanden, sich aus allen grünen Flügelkämpfen herauszuhalten. Deshalb ist er allseits akzeptiert und kann sich gut vermarkten.

In Gelsenkirchen freilich hat das wenig genutzt. Kaum ein Dutzend Leute interessiert sich für Trittins Glaubensätze über Klimaschutz, Gerechtigkeit und Bildung.

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