"Grüne hätten die Möglichkeit, die verfassungswidrigen Extra-Diäten zu stoppen"

Rheinland-Pfalz zahlt verfassungswidrige Extra-Diäten für Landtagsabgeordnete. Die Grünen hatten deswegen das Bundesverfassungsgericht angerufen. In einem Gastbeitrag für den Trierischen Volksfreund hinterfragt der Speyerer Verwaltungswissenschaftler Hans Herbert von Arnim, ob sich die Partei in den laufenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD für die Abschaffung der Praxis einsetzen wird.

Speyer. Parlamentsfraktionen zahlen seit Jahren verfassungswidrige Zulagen an eine Vielzahl von Abgeordneten. Erlaubt sind Zusatzgehälter nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur für Parlamentspräsidenten, ihre Stellvertreter und für Fraktionsvorsitzende.

Andere Funktionäre wie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführer sind davon ausgeschlossen - im Interesse der Gleichheit und der Freiheit der Abgeordneten, die durch Gewährung oder Vorenthaltung lukrativer Posten finanziell gegängelt werden können. Das Verbot trifft alle Parlamente, in denen die Abgeordneten voll alimentiert werden. Dort ist die Wahrnehmung besonderer Funktionen durch die volle Bezahlung mitabgegolten. Eine Ausnahme gilt nur für die Stadtstaaten, wo das Mandat in Teilzeit mit geringen Diäten ausgeübt wird.

Gast beitrag



Doch die Verfassungsgrenze wird fast überall überschritten, auch in Rheinland-Pfalz. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 betraf zwar unmittelbar das Saarland, und ein Urteil von 2000 das Land Thüringen. Daraus scheint der Mainzer Landtag abzuleiten, die Rechtsprechung besitze für andere Länder keine Geltung. Das trifft aber nicht zu.

Das Gericht hat in einer weiteren Entscheidung von 2007 selbst bestätigt, dass die von ihm aufgestellten Grundsätze für die Beurteilung von Extra-Diäten in allen Parlamenten von Flächenländern gelten, solange die Landesverfassungen nichts Abweichendes bestimmen (was auch in Rheinland-Pfalz nicht der Fall ist).

Um die Zulagen möglichst aus dem Licht der Öffentlichkeit zu nehmen, bedient der Landtag sich eines Umweges: Die verfassungswidrigen Extra-Diäten werden nicht im Abgeordnetengesetz ausgewiesen und unmittelbar aus dem Staatshaushalt gezahlt, sondern mittelbar über die Fraktionen, welche zu fast 100 Prozent vom Staat finanziert werden und als Teile des Parlaments selbstverständlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegen.

Welche Funktionäre welche Zahlungen erhalten, steht weder im Gesetz noch wird darüber nachträglich im Wege der Rechnungslegung informiert. Demokratische Transparenz sieht anders aus.

Allenfalls auf beharrliche Nachfrage werden die Zulagen mitgeteilt. Danach erhalten in der zu Ende gehenden Wahlperiode die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion - zusätzlich zu ihren Diäten von 5460 Euro - ein weiteres Salär von 2599 Euro monatlich und die fünf stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden je 2209 Euro. Die CDU-Fraktion zahlt drei stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden je 1820 Euro und dem parlamentarischen Geschäftsführer 2730 Euro zusätzlich.

Den Verfassungsverstoß begeht nicht irgendwer, sondern Mitglieder des höchsten demokratischen Organs des Landes. Das ist Verfassungsbruch. Wenn die für die Gesetzgebung verantwortliche Instanz das Recht nicht mehr ernst nimmt, ist der gesamte demokratische Rechtsstaat in Gefahr.

Der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Joachim Mertes hat die Zulagen kürzlich mit der Behauptung verteidigt, die Verfassungsgerichte der Länder würden "zunehmend die Zulässigkeit von Funktionszulagen anerkennen". Diese Urteile bezogen sich aber nur auf die Stadtstaaten. Er berief sich weiter auf eine Bestimmung des Fraktionsgesetzes, ließ dabei aber außer Betracht, dass dieses Gesetz das höherrangige Verfassungsrecht natürlich nicht außer Kraft setzen kann.

Schließlich werden zur Verteidigung Aufsätze des jetzigen rheinland-pfälzischen Landtagsdirektors Lars Brocker und von Bediensteten des Bundestags angeführt, die - entgegen der ganz herrschenden Staatsrechtslehre - die Verfassungsmäßigkeit des Zulagenunwesens behaupten. Kann man von derartigen Gewährsleuten aber wirklich unabhängige Stellungnahmen erwarten oder gilt hier nicht eher der Satz "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing"?

Die Grünen hatten seinerzeit das Bundesverfassungsgericht gegen die verfassungswidrigen Zulagen angerufen. Sie sind jetzt wieder im rheinland-pfälzischen Landtag. Ohne sie kann die Regierung nicht gebildet werden. Sie hätten also durchaus die Möglichkeit, in Koalitionsverhandlungen die ungute Praxis ein für alle Mal zu beseitigen.

Hans Herbert von Arnim

ZUR PERSON



Hans Herbert von Arnim, Jahrgang 1939, lehrt als pensionierter Universitätsprofessor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und ist Mitglied des dortigen Forschungsinstituts. Von Arnims jüngstes Buch, "Der Verfassungsbruch. Verbotene Extra-Diäten - Gefräßige Fraktionen", ist soeben im Verlag Duncker und Humblot, Berlin, erschienen.

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