Grüne wollen irgendwie unbequem bleiben

Münster · Nach dem Sieg der Grünen in Baden-Württemberg dachten viele, nun würden die zur Partei der bürgerlich-braven Mitte nach Kretschmanns Vorbild. Auf ihrem Bundesparteitag in Münster zeigen sie, dass sie noch anders können. Jedenfalls ein bisschen.

Münster. "Wir bleiben unbequem." So steht es fett an der Podiumswand des Kongresszentrums. Davor erklimmt gerade ein unbequemer Gast die Bühne. Ausgerechnet Jürgen Zetsche, der Daimler-Boss, soll zum Thema Energie und Verkehrswende sprechen - der Parade-Disziplin der Grünen. "Das Auto mordet", hat ihm zuvor ein Delegierter am Mikrofon vorgehalten. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, zieht ebenfalls vom Leder und erinnert an den Skandal um manipulierte Abgaswerte, in den auch Daimler verstrickt ist. Nur Parteichef Cem Özdemir spricht von einem "Hammer-Kompliment", dass sich Zetsche überhaupt in die Höhle des grünen Löwen traut. Es nützt nichts.
Die Grüne Jugend johlt. Andere buhen. Doch das beeindruckt Zetsche wenig. In Jeans und lockerem Hemd redet er von einer großen Zukunft der Elektromobilität und der Innovationskraft deutscher Ingenieure, aber auch davon, dass sich emissionsfreie Antriebe rechnen müssen. Mal bekommt Zetsche respektvollen Applaus, mal wird gepfiffen. Der politisch ranghöchste Grüne, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ist mit Zetsche gewissermaßen jeden Tag auf Tuchfühlung. Er hat einen schweren Daimler mit Hybridantrieb als Dienstwagen. Im "Ländle" sorgt der Konzern für Arbeitsplätze und Wohlstand. Nach Münster ist Kretschmann jedoch gekommen, um über ein anderes Reizthema zu sprechen.
Schon im letzten Bundestagswahlkampf hatte er seine Partei vor "unzumutbaren Belastungen" für Bürger und Betriebe gewarnt. Die Grünen hatten seinerzeit die Anhebung des Spitzensteuersatzes, eine Vermögensabgabe für Millionäre, die Anhebung der Erbschaftsteuer und eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ins Wahlprogramm geschrieben. Das Ergebnis war ein Liebesentzug der Wähler. Nun droht sich die Geschichte zu wiederholen. "Nur, weil die Parteilinken auf ihren Dogmen beharren", empört sich eine Delegierte.
Weil die Parteiführung nicht unter einen Hut kam, stehen in Münster gleich fünf Anträge über die Besteuerung der "Reichen" zur näheren Auswahl. Eindringlich rät Kretschmann von einer Wiederbelebung der Vermögensteuer ab, weil sie kleinere und mittlere Unternehmen besonders bei schlechter Auftragslage belaste. Die Delegierten quittieren es mit eisigem Schweigen. Nach sieben Stunden Debatte, mehreren "Meinungsbildern" und schriftlichen Auszählungen setzt sich der Antrag der beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter durch. Er enthält sowohl die Vermögens- als auch die Erbschaftssteuer. Allerdings so hinreichend vage, das sich viele Realos ihre Niederlage schönreden. "Alle haben sich aufeinander zubewegt", tröstet sich Özdemir.
Co-Chefin Simone Peter dagegen jubelt. Die linke Flügelfrau hatte sich schon vor Wochen zum Eckardt-Hofreiter-Kompromiss bekannt, was Özdemir gar nicht lustig fand. In Münster haben die beiden nur verachtende Blicke füreinander übrig. Und sonst? Unter dem Banner der sozialen Gerechtigkeit beschließt man erneut die Abschaffung des Ehegattensplittings. Diesmal aber nur für künftige Ehen. Auch eine "Garantierente" ist im Angebot und die Beseitigung aller Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger, die ihre Auflagen nicht erfüllen. Derweil hadert Winfrid Kretschmann immer noch mit dem Steuerbeschluss. Er bleibt auf jeden Fall unbequem - für die eigene Partei.Extra

Der Trierer Student Sven Dücker (24) will Landesvorsitzender der Grünen werden. Der bisherige Beisitzer im Landesvorstand war auch Direktkandidat bei der Landtagswahl 2016. Der amtierende Landesvorsitzende Thomas Petry will sich am 10. Dezember wiederwählen lassen. cus

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