Grummelnde Genossen

BERLIN. Offiziell spielen die Sozialdemokraten heile Welt, doch hinter den Kulissen brodelt angesichts der Umfragewerte der Partei und ihres Wahlkampf der Unmut. Die SPD müsse aus der Defensive heraus, heißt es.

Als der Parlamentarische Geschäftsführer im Bundestag, Wilhelm Schmidt, gestern zu den Ergebnissen eines Treffens mit den Fraktionschefs der Länder Stellung nahm, rankte sich eine schöne Wortgirlande an die andere: Die Erzählungen der Genossen über den Wahlkampf vor Ort hätten ihn "sehr optimistisch gestimmt". Überhaupt herrsche "gute Stimmung" an der Basis. Dumm nur, dass der Wähler die rosigen Einschätzungen nicht teilt. Auf 30 Prozent hat sich die SPD in jüngsten Umfragen nach oben gehangelt. Damit liegen die Sozialdemokraten aber weiter aussichtslos hinter der Union zurück, die deutlich mehr als 40 Prozent auf die Waage bringt. Jenseits der offiziellen Statements grummelt es dann auch vernehmlich bei den Genossen. "Ich höre von vielen Leuten im Wahlkampf, die sagen, der Schröder gefällt mir ganz gut, aber er hat keine Chance mehr", klagt der brandenburgische Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg. Auch sei eine große Koalition bei den Menschen kein Schreckgespenst. Parteifreunde, die lieber anonym bleiben, werden noch deutlicher: "Das Willy-Brandt-Haus führt einen Wahlkampf, der nicht zu gewinnen ist." Jetzt gehe es "nur noch darum, das Spiel mit Anstand zu Ende zu bringen, um es nicht mit 10:1, sondern vielleicht nur mit 4:1 zu verlieren". Der zentralen Wahlkampfführung sei kein Vorwurf zu machen. "Unser Spiel ist einfach nicht konkurrenzfähig", lautet ein düsterer Befund. Auch das Treffen der Landesfraktionsvorsitzenden war keine Harmonieveranstaltung. Teilnehmer mahnten eine glasklare Auseinandersetzung mit der Union an. "Wir müssen uns jetzt auf die zentralen Felder konzentrieren", sagte der SPD-Chef im Berliner Abgeordnetenhaus, Michael Müller. Dazu gehöre neben der Bildungspolitik vor allem das Thema Steuergerechtigkeit. "Die Bürger wundern sich, warum jemand, der 3000 Euro im Monat verdient, künftig den gleichen Steuersatz bezahlen soll wie jemand mit 300 000 Euro Einkommen", meinte Müller mit Blick auf das Steuermodell des CDU-Hoffnungsträgers Paul Kirchhof. Auch Wilhelm Schmidt räumte ein, dass der Wahlkampf der SPD mehr "Zuspitzung" vertragen könnte. Im Kalender der Parteistrategen sind dafür noch drei entscheidende Termine angestrichen. Am Sonntag gehen Schröder und Merkel zum Duell vor die Fernesehkameras. Nächsten Mittwoch will Schröder der Union noch einmal im Bundestag die Leviten lesen. Einen "zusätzlichen Schub" erwartet man sich vom heutigen SPD-Wahlparteitag. Im Mittelpunkt soll ein einstündiger Redeauftritt des Kanzlers stehen. Darüber hinaus verabschieden die Delegierten einen Wahlaufruf, der ganz auf Polarisierung getrimmt ist: Während der Kanzler für eine Politik "des Muts, des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit" stehe, wollten Merkel und FDP-Chef Westerwelle "den Bruch mit dem Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft". Einzig der hessische SPD-Ortsverein Rheingauviertel bringt die Schlachtordnung etwas durcheinander. In einem Antrag fordert er den Parteitag auf, "nur einen solchen Kanzlerkandidaten zu nominieren, der für einen Politikwechsel steht". Die Antragskommission empfiehlt "Nichtbefassung, weil wir den amtierenden Kanzler bei seiner Wiederwahl unterstützen".

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