Gruß vom großen Bruder

Ein Mord in der Münchner Schickeria. Republikweites Entsetzen. Rätsel. Fragen. Während die Reporter der Boulevard-Blätter ächzend hinter die Fassade des schönen Scheins kriechen, um das Liebesleben des erdrosselten Modezaren Rudolph Moshammer auszuleuchten, meldet die Polizei: Der Täter, offenbar aus dem Stricher-Milieu, ist gefasst.

Ein Erfolg der High-Tech-Fahndung. Desoxyribonukleinsäure, der Zungenbrecher aus dem Biologie-Unterricht, hat Gen-Detektive auf die Spur des Mörders gebracht. Wegen einer Lappalie war er einst registriert worden, mit Hilfe der DNA-Analyse nun überführt. Prompt preisen Politiker die Wunderwaffe im Kampf gegen das Verbrechen: genetische Fingerabdrücke, gespeichert in einer zentralen Datenbank. Und fordern: mehr davon. Die Fakten sprechen dafür: Je mehr Informationen vorliegen, um so leichter fällt es, Gewalttäter aufzuspüren - und abzuschrecken. Serienkiller, Vergewaltiger, Kinderschänder. Angesichts dieser Chance verblassen die Argumente von Datenschützern. Die Einschränkung von Persönlichkeitsrechten gegen die mögliche Rettung von Menschenleben - eine einfache Güterabwägung. Gefragt sind die Hüter der Freiheit allerdings, wenn es um die Kontrolle geht: von Polizei, Geheimdiensten, privaten Unternehmen. Gen-Datenbanken sind nur ein Teilaspekt. Jeder Click im Internet hinterlässt eine Spur. Längst gehen Cyber-Cops auf Patrouille. Telefonate werden überwacht, Reise- und Hotelbuchungen erfasst, Kreditkartenzahlungen zusammengestellt. Banken, Versicherungen, Supermärkte schnüffeln ihre Kundschaft aus. Die Tickets für die nächste Fußball-WM enthalten Funkchips, die es erlauben, jeden Fan zu orten. Und so weiter. Wer die mäandernden Datenströme kombiniert, erhält vollständige Profile von Menschen, mithin gläserne Bürger. Bei Missbrauch droht: ein allwissender Überwachungsstaat. Den zu rechtfertigen, darf die Verbrechens-Bekämpfung keinesfalls herhalten. Schönen Gruß vom großen Bruder. p.reinhart@volksfreund.de

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