"Hart an der Grenze zum Populismus"

Zweibettzimmer als Standard, Facharzttermine innerhalb weniger Tage - Regierung und Opposition überbieten sich derzeit mit Ideen zum Wohle der Kassenpatienten. Der TV sprach darüber mit Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom an der Universität Duisburg-Essen.

Berlin. Vor politischen Schnellschüssen im Gesundheitswesen warnt Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. Er sieht die neuesten Vorschläge kritisch. Mit Wasem sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

Herr Wasem, die Regierung will die medizinische Versorgung per Gesetz verbessern. In der Union spricht man gar von einem "Jahr der Patienten". Was steckt aus Ihrer Sicht hinter den Verheißungen?

Wasem: Wir haben in der Tat Probleme bei der Versorgung der Patienten, die sich aber durch technische und organisatorische Maßnahmen lösen ließen. Also zum Beispiel durch eine verbesserte Bedarfsplanung. Weil das einen Laien aber kaum vom Hocker reißt, mischen Regierung und Opposition ihren Konzepten im Wahljahr ein paar zugkräftige Nummern bei, die teilweise hart an der Grenze zum Populismus sind.

Was genau rügen Sie denn?

Wasem: Natürlich klingt es verlockend, wenn Union und SPD Zweibettzimmer zum Standard machen wollen und bei höheren Belegungen mit finanziellen Einbußen für die Krankenhäuser drohen. Aber was ist damit gewonnen? Oft sind es gerade Kliniken mit einem guten Ruf, in denen Patienten auch in Drei- oder Vierbettzimmern schlafen müssen. Denn entsprechend stark sind sie frequentiert. Umgekehrt können Kliniken, die weniger gut sind, leichter Zweibettzimmer anbieten.

Die Unterbringung ist also noch kein Ausdruck von Qualität?

Wasem: Zumindest kein hinreichender. Wenn man beides zusammenbringen will, also hohen Zimmerstandard und exzellente Behandlungsqualität, dann wird das auch bauliche Maßnahmen erfordern, die Geld kosten. Die Politik will jedoch Häusern mit Vierbettzimmern Geld streichen. Das ist hoch problematisch. Denn damit tut man der Versorgungsqualität keinen Gefallen. Viele Häuser würde das auch wirtschaftlich treffen. Hier muss man in Ruhe nach Lösungen suchen, anstatt mit politischen Schnellschüssen zu operieren.

Woran denken Sie dabei im Einzelnen?

Wasem: Gegenwärtig ist es doch so, dass die Länder ihren Investitionsverpflichtungen für die Kliniken nur unzureichend nachkommen. Ein- und Zwei-bettzimmer als private Kassenleistung sind deshalb für die Krankenhäuser eine zusätzliche Geldquelle, um solche Defizite auszugleichen. Das Problem lässt sich also nur lösen, wenn die Länder stärker in die Pflicht genommen werden.

Maximal drei Wochen sollen Kassenpatienten auf einen Arzttermin warten, die Sozialdemokraten wollen sogar höchstens fünf Tage festschreiben. Ist das realistisch?

Wasem: Auch hier ist der politische Eifer, etwas Werbewirksames zu tun, stark ausgeprägt. Es wird wohl immer Regionen und Facharztgruppen geben, für die solche Pläne nicht zu realisieren sind. Das Grundproblem hat aber zumindest die SPD erkannt: Durch das gegenwärtige Vergütungssystem der Ärzte besteht ein finanzieller Anreiz, Privatpatienten bevorzugt zu behandeln. Für die gleiche Leistung bekommen die Ärzte etwa zweieinhalbmal soviel wie bei einem Kassenpatienten.

Also müsste man die Vergütung angleichen, oder?

Wasem: Das ist sicher erstrebenswert. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die ärztlichen Honorare im gesetzlichen Kassensystem begrenzt sind, aber im privaten System nicht. Wenn man will, dass die Ärzte unterm Strich genauso viel verdienen sollen wie jetzt, aber die Privaten nicht ein Mehrfaches zahlen, dann führt das zwangsläufig zu einer Mehrbelastung der gesetzlich Versicherten. Beitragserhöhungen wären dann unvermeidlich.

zur Person Jürgen Wasem (51, Foto: dpa), ist Wissenschaftler und Politikberater. Der Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen in Essen ist an der Einführung und Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen beteiligt.hintergrund Wartezeiten: Bei niedergelassenen Ärzten bekommen 30 Prozent aller gesetzlich, aber 39 Prozent aller Privatversicherten sofort einen Termin. Das hat eine drei Jahre alte Studie im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ergeben. Mehr als drei Wochen dauerte es bei neun Prozent der Kassen- und bei fünf Prozent der Privatpatienten. Nur ein Viertel hat beim Facharzt eine Wartezeit von höchstens einem Tag. Einer ebenso alten Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie zufolge unterschieden sich die Wartezeiten zwischen Privat- und Kassenarztpraxen bei Allergietests um 18 Tage, bei Magenspiegelungen um 25 Tage. Im Schnitt dauerte es bei gesetzlich Versicherten dreimal länger. (dpa)

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