"Hartz IV ist ein Durcheinander"

BERLIN. Der Ombudsrat zur Begleitung der Arbeitsmarktreform Hartz IV will in diesem Monat seinen Abschlussbericht vorlegen. Der TV sprach mit Kurt Biedenkopf (CDU), der Mitglied in diesem Gremium ist.

Herr Biedenkopf, braucht Hartz IV eine Generalrevision oder reichen eher moderate Korrekturen? Kurt Biedenkopf: Der Streit um Worte führt uns nicht weiter. Die jetzt geplanten Gesetzesänderungen gehen schon sehr weit. Es zeigt sich, dass die vor eineinhalb Jahren erfolgte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ein Experiment ist. Und wie der SPD-Vorsitzende Kurt Beck kürzlich sagte, kann man bei einem Experiment nicht alles vorher genau voraus sehen. Das klingt eher nach einem Feigenblatt für gesetzlichen Murks, der nun behoben werden muss. Kurt Biedenkopf: Keineswegs. Auf Grundlage der Daten der bisherigen Sozial- und Arbeitslosenhilfe konnte man annehmen, dass man es in Zukunft mit rund 2,7 Millionen Bedarfsgemeinschaften zu tun haben werde. Inzwischen sind es 3,9 Millionen geworden. Unklar war auch die genaue Zahl der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger, die um rund 300 000 höher liegt als ursprünglich geschätzt. Und schließlich war nur schwer vorhersehbar, wie die Betroffenen nach der Reform ihre Lebensgemeinschaften gestalten und damit über die Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaften praktisch selbst entscheiden würden. Ist das schon Missbrauch? Kurt Beck hat an die Betroffene appelliert, nicht alles herauszuholen, was geht. Kurt Biedenkopf: Von Missbrauch zu reden ist schwierig, wenn das Gesetz Versuchungen enthält, denen die Betroffenen nur mit einem ungewöhnlichen moralischen Aufwand widerstehen können. Echter Leistungsmissbrauch liegt vor, wenn Vermögen und oder Einkommen verheimlicht wird, um Leistungen vom Staat beziehen zu können. Wenn dagegen zwei unverheiratete Partner getrennt wohnen, um ihre wirtschaftliche Situation durch Hartz IV zu verbessern, handeln sie zwar nicht im Geiste des Gesetzes, aber man kann ihnen deshalb noch nicht ohne weiteres Gesetzesmissbrauch vorwerfen. Die Gesetzesmacher waren also nur Opfer unvorhersehbarer Umstände? Kurt Biedenkopf: Tatsache ist, dass wir ein Gesetz auf dem Tisch haben, dass sich in seiner jetzigen Form nicht bewährt. Der eigentliche Murks ist im Vermittlungsausschuss entstanden, als man Arbeitsagenturen und kommunale Sozialämter in Arbeitsgemeinschaften zusammen spannte und diesen die Verwaltung des neuen Gesetzes übertrug. Warum ist das Modell gescheitert? Kurt Biedenkopf: Eine Organisation, in der die Mitarbeiter praktisch zwei Herren dienen sollen, mit verschiedenen Tarifverträgen und unterschiedlicher Arbeitsplatzsicherheit leben müssen und ihnen Aufgaben geben, die so noch nicht erledigt werden mussten, kann nicht erfolgreich funktionieren. Das Ergebnis ist ein großes Durcheinander. Wie sollten die Zuständigkeiten künftig geregelt werden? Kurt Biedenkopf: Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder die Zuständigkeit liegt bei der Arbeitsagentur oder bei der kommunalen Ebene. Oder man schafft eine neue Organisation. Derzeit werden drei verschiedene Sachverhalte vermengt: der normale beitragsfinanzierte Arbeitsmarkt, die steuerfinanzierte Grundsicherung für Langzeitarbeitslose und die klassische Sozialhilfe. Das muss auseinander dividiert werden. S Mit Kurt Biedenkopf sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

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