Hau den Schäuble

Berlin · In der Sondersitzung des deutschen Parlaments über neue Hilfen für Athen ist ein Mann im Fokus: Finanzminister Wolfgang Schäuble. Wegen seiner harten Verhandlungsführung in Brüssel wird er teils hart angegangen.


Berlin. Anfänglich ist die Stimmung im Reichstag noch entspannt. Lange Schlangen bilden sich an den Kaffeeautomaten, es wird gelacht und gescherzt. Auch für die Kanzlerin beginnt der Tag im Parlament angenehm - SPD-Chef Sigmar Gabriel überreicht Angela Merkel zum 61. Geburtstag einen Blumenstrauß. Die Kameras klicken. Es ist ein nettes Bild der Harmonie. Sonnenblumen sind dabei. In der Blumensprache sollen sie bedeuten: "Lass uns nur heitere Stunden leben." Von wegen.
Aufziehender Pulverdampf


Der Pulverdampf im Plenum zieht um 9.59 Uhr auf, eine Minute vor Sitzungsbeginn. Da rollt Wolfgang Schäuble in den Plenarsaal, kurz und bündig gratuliert er Merkel. Sigmar Gabriel steht zu diesem Zeitpunkt bei Heiko Maas, dem Justizminister. Als Schäuble an seinem Platz ankommt, dreht sich Gabriel eilig um und reicht ihm die Hand. Beide schauen sich kaum an. Noch knapper kann eine Begrüßung nicht ausfallen. Ist das die sichtbar gewordene Koalitionskrise, von der in Berlin derzeit gesprochen wird? Wolfgang Schäuble. Um ihn dreht sich in der Debatte um neue Griechenland-Hilfen fast alles. Unerbittlich ist seine Verhandlungsführung in Brüssel gewesen, das hat viele europaweit verärgert. Hartnäckig hat er zudem den Vorstoß eines Grexit auf Zeit vertreten. In seiner Rede wiederholt der CDU-Politiker die Idee zwar nicht eindeutig, er sagt aber, dass der Weg der Griechen in der Währungsunion einer sein werde, "den viele in Deutschland und Europa weiterhin als eine zu große Belastung ansehen". Das kann man als Verteidigung seiner Position verstehen.
Laut Finanzminister soll auch Gabriel in den Plan eines zeitweiligen Grexits eingebunden gewesen sein, was der aber bestreitet. Daran hat sich der Krach entzündet. Bei der SPD ist die Wut über Schäuble und sein "Grexit-Gerede" groß, freilich lässt sich so auch der Frust über den Schlingerkurs des eigenen Vorsitzenden in der Griechenland-Frage überdecken.
Am Ende der Debatte geht der SPD-Chef noch mal zum Finanzminister, es hat den Anschein, als ob er ihn auf eine SMS hinweisen will. Schäuble schaut nach, winkt ab. Gabriel zieht von dannen. Dafür setzt sich Angela Merkel neben ihren Finanzminister und redet ganz vertraut mit ihm. Das ist ihre demonstrative Unterstützung. Immer wieder Schäuble. Einige bei den Linken buhen sogar, als der 72-Jährige sich zum Rednerpult aufmacht. Gregor Gysi hat zuvor das Prinzip "Hau den Schäuble" beherzigt - so hart attackiert er den Minister. "Es tut mir leid, aber Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören", wettert der Linksfraktionschef. Der Mann, der - wie er später selbst sagt - sein "ganzes politisches Leben" für die europäische Einigung gearbeitet hat, sitzt regungslos an seinem Platz, das Kinn auf die Hände gestützt. Blass ist er. "Sie geben sich nationalistisch und behaupten, im Interesse Deutschlands zu handeln. Sie schaden Deutschland", ruft Gysi weiter. Vielleicht will der Linke mit seinen Angriffen aber auch kaschieren, dass seine Partei am Ende gegen Verhandlungen über neue Hilfen stimmt - und so de facto ihrem griechischen Genossen Alexis Tsipras in den Rücken fällt. Als Schäuble antwortet, ist Gysi nicht mehr im Parlament. Aus persönlichen Gründen, wie es heißt. Der Minister bedauert das süffisant, aber dieser Umstand nimmt die Schärfe aus seiner Rede. Erst am Schluss wendet er sich gegen die "verzerrende Polemik", die über ihn ausgeschüttet worden ist.
Politische Abhärtung


Schäuble sagt zugleich: "Ich bin so abgehärtet in einem langen politischen Leben, dass mich das nicht aus der Bahn wirft." Er wirkt dennoch getroffen, aber auch entschlossen. Was ihn "quäle", sei, dass er an einer Lösung mitwirken müsse, von der er nicht wisse, ob sie funktioniere. Aber ein drittes Hilfspaket sei "ein letzter Versuch", so der Minister. Griechenland müsse dafür jedoch "harte Anstrengungen" unternehmen "und zwar kurzfristig". Dann "werden wir alles tun, dass dieser letzte Versuch zum Erfolg führt", beteuert der CDU-Mann.
Ähnlich hat sich zu Beginn auch die Kanzlerin geäußert. "Wir tun das für die Menschen in Griechenland, wir tun das aber auch für die Menschen in Deutschland", sagt Angela Merkel. Sie verweist darauf, dass Europa eine Schicksals- und Verantwortungsgemeinschaft sei. Dann erklärt auch sie, dass es sich um eine "letzte Chance" für das hoch verschuldete Land handelt. Soll heißen, ein viertes Hilfspaket wird es nicht mehr geben. So will die Regierungschefin die Kritiker in den eigenen Reihen etwas besänftigen. Trotzdem stimmen 60 Abgeordnete der Unionsfraktion mit Nein, fünf enthalten sich. 241 votieren mit Ja.Extra

Mit einer Totenmesse in der St.-Hedwigs-Kathedrale und einer Schweigeminute im Bundestag haben Parteifreunde und politische Weggefährten in Berlin Abschied von Philipp Mißfelder genommen. Bundestagspräsident Norbert Lammert würdigte den mit nur 35 Jahren gestorbenen CDU-Abgeordneten als außergewöhnliches Talent. "Es gibt kaum jemanden in der Geschichte des Bundestages, der in so jungen Jahren ohne ein Amt in der Exekutive ein so dichtes Netz an politischen Kontakten aufgebaut hat", sagte Lammert am Freitag zu Beginn der Sondersitzung des Parlaments zu den Griechenland-Hilfen. "Der Deutsche Bundestag verliert mit ihm einen engagierten und respektierten Parlamentarier - viele von uns, auch ich persönlich, einen guten Freund", sagte Lammert, der sichtlich um Fassung rang. Der Ex-Vorsitzende der Jungen Union (2002 bis 2014) war in der Nacht zum Montag überraschend an einer Lungenembolie gestorben (TV vom 14. Juli). An diesem Samstag wird Mißfelder bei Münster im Familienkreis beigesetzt. dpaExtra

Unter den Bundestagsabgeordneten aus der Region haben Katarina Barley (SPD), Peter Bleser (CDU) und Patrick Schnieder den Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland zugestimmt. Corinna Rüffer (Grüne) hat sich enthalten, Katrin Werner (Linke) nicht abgestimmt. jks

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort