Haushaltsdebatte wird zur Bühne für die Kanzlerin

Berlin · Frank-Walter Steinmeier (SPD) gibt sich alle Mühe, der Regierung mangelnde soziale Gerechtigkeit und Klientelpolitik nachzuweisen. Aber "die Stunde der Opposition", wie die Generalaussprache über den Bundeshaushalt traditionell genannt wird, fällt an diesem Mittwoch aus. Jedenfalls für die SPD.

Berlin. Angela Merkel wischt Steinmeiers detaillierte Mängelliste von Atom bis Hotelsteuer, von Gesundheitsreform bis Mindestlohn schon mit den ersten Sätzen zur Seite und bringt ihre Leute zum Jubeln. Die Kanzlerin referiert einfach die aktuellen Wirtschaftszahlen. 3,4 Prozent Wachstum in diesem, rund zwei Prozent im nächsten Jahr. Weniger als drei Millionen Arbeitslose - "wenn wir denn schon über Gerechtigkeit reden wollen, Herr Steinmeier".

Merkel ist gut drauf. Sie lächelt viel und redet lässig mit einer Hand in der Hosentasche. Auch die Chemie mit ihrem Sitznachbarn Guido Westerwelle scheint zu stimmen. Jedenfalls zeigt sie ihm während der Debatte immer mal wieder etwas auf ihrem neuen I-Pad. Manchmal auch Wolfgang Schäuble. Mehrfach nickt Westerwelle während Merkels Rede aufmunternd in Richtung FDP-Fraktion, um sie zum Klatschen zu animieren. Etwa, als die Kanzlerin seine Wahlkampf-Formel vom "einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystem" wiederholt, das man nicht vergessen habe. Nur komme eben zuerst die Haushaltskonsolidierung.

Dass die Leute vom "Aufschwung XL" im eigenen Portemonnaie wenig haben und Erwartungen in Enttäuschungen umschlagen könnten, ist der wunde Punkt, über den sogar im CDU-Präsidium diskutiert wurde. Aber Steinmeier streift das Thema nur kurz. Schließlich will auch die SPD keine Steuersenkungen. Stattdessen versucht er, die Harmonie zu stören, indem er das Chaos der ersten schwarz-gelben Monate mit der Arbeit der Großen Koalition vergleicht.

Merkel kontert auch das schnörkellos. Am Aufschwung, sagt sie, hätten tatsächlich auch die Vorgängerregierung und sogar noch Gerhard Schröder mit seinen Agenda-2010-Reformen Verdienste. "Ihr Problem ist nur", ruft sie Richtung SPD, "dass sie darüber am liebsten gar nicht mehr sprechen wollen." Johlen auf der rechten Seite des Hauses. Merkel ist rauflustig. So ist ihr auch nicht entgangen, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel während der Steinmeier-Rede die ganze Zeit in einer der hinteren Reihen mit Ex-Justizministerin Brigitte Zypries gequatscht hat, anstatt seinen Fraktionsvorsitzenden vorne zu unterstützen. "Ach, Sie waren auch schon mal besser", mault Gabriel, als Merkel das dem Publikum mitteilt. Zum Verdruss der Sozialdemokraten orientiert die Kanzlerin ihre Hautpangriffe aber auf die Grünen, die sie angesichts hoher Umfragewerte offenbar als eigentliche Herausforderer ansieht. Immer seien die Grünen dagegen, schimpft Merkel, ob gegen Stuttgart 21 oder gegen neue Stromleitungen.

Die schwarz-gelben Fraktionschefs hauen in die gleiche Kerbe und ernennen die Grünen zur "Dagegen-Partei gegen alles", wie Volker Kauder es formuliert.

Deren Fraktionschefin Renate Künast fühlt sich sichtlich geehrt. Wenn es in Deutschland um die Zukunft gehe, dann gebe es in der Tat nur "schwarz oder grün", sagt sie.

Die SPD-Abgeordneten hören das einigermaßen entgeistert, ebenso die Linken, die mit einer eher holzschnittartigen Rede ihrer Parteichefin Gesine Lötzsch wenig durchdringen. Wie sehr sich die Grünen mittlerweile auf Augenhöhe fühlen, zeigt sich auch daran, dass Künast die einzige ist, die mit einer Bemerkung zur aktuellen Terrorgefahr beginnt, inklusive eines staatstragenden Dankes an Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und die Polizisten. Zum ersten Mal tage der Bundestag unter einer für das Publikum geschlossenen Reichstagskuppel, sagt Künast bedauernd und fährt fort: "Wir werden ein freies Parlament in einem freien Land bleiben, und das Dach wird wieder geöffnet werden." Da applaudieren sogar die Regierungsfraktionen.

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