Heiße Argumente

OSNABRÜCK. Im Wahlkampf reist Kanzlerkandidatin Angela Merkel bis zum 18. September noch zu 50 Großveranstaltungen. Gestern besuchte sie Stationen in Niedersachsen – und überzeugte.

Wer Kanzlerin werden will, muss das aushalten. Es kracht, es scheppert, Staub und Hitze liegen bleiernd schwer in der Luft. Im Walzwerk der niedersächsischen Georgsmarienhütte bekommt die Wahlkämpferin Angela Merkel unter ihrem weißen Schutzhelm verdammt heiße Ohren. Die Lufttemperatur beträgt schweißtreibende 55 Grad Celsius, wenige Meter vor ihr saust auch noch der glühende Stahl in einem atemberaubenden Tempo über die Förderbänder. Das macht die Wärme noch unerträglicher.Im orangenen Overall mit Schutzbrille und Helm

Von der Kandidatin im orangenen Overall mit Helm und Schutzbrille können die Fotografen nicht genug bekommen. Politiker in Malocherkleidung sind ein beliebtes Motiv. Sie wirken so schön skurril. Auch wenn's Merkel schwer fällt: Wer Kanzlerin werden will, der muss sich so in Szene setzen (lassen). Und wer sich um den höchsten Posten der Deutschland AG bewirbt, der muss im Wahlkampf eben dahin gehen, wo es wehtun kann, wie die Fußballer sagen. Zum Beispiel zu 1000 Stahlwerkern und Betriebsräten der Georgsmarienhütte, die nicht gerade zum Freundeskreis von "Angie" zählen, sondern Kumpels von Gerhard sind. Angela Merkel auf Wahlkampftour. 50 Großveranstaltungen absolviert die Kanzlerkandidatin bis zum 18. September. Vormittags erledigt sie ihre Amtsgeschäfte in Berlin, um dann per Flugzeug, Dienstwagen oder CDU-Bus die Republik zu bereisen. Geschlafen wird im heimischen Bett, die Kandidatin braucht das, heißt es. Jeden Tag sind es mindestens zwei kräftezehrende Termine - zuhören, reden, brüllen, diskutieren, winken, Hände schütteln. Und Buhrufe wegstecken und kontern. Der Wahlkampf ist kein Sonntagsspaziergang. Merkel ist kein Volkstribun. Stimmungen zum Kochen zu bringen, die Menschen emphatisch mitzureißen, das ist ihr nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden. Sie will überzeugen, ihr Schwert ist das Argument, nur selten die Attacke. So tourt sie diesmal durch Niedersachen. "Habemus Angelam" steht auf dem Osnabrücker Marktplatz auf einem großen Transparent eines dieser jungen Jubelteams. In der Friedensstadt erwartet Ministerpräsident Wulff die Kandidatin zu einer Kundgebung. Erst der Urlaub, dann der Wahlkampf für Merkel, ein Eindruck, den in den vergangenen Wochen einige Länderfürsten der Union hinterlassen haben. Merkel hat sich zwar geärgert, aber es gelassen genommen. Die Umfragen sind schließlich gut. Und unter ihren Anhängern glaubt ohnehin jeder, dass Merkel Kanzlerin wird. Bevor die Ostdeutsche an diesem Tag vor dem eindrucksvollen Rathaus ihre für Unionisten gefällige Wahlkampfrede hält, hat sie noch eine knifflige Aufgabe zu lösen. Wie erklärt man Arbeitnehmern, dass eine Kanzlerin Merkel die Pendlerpauschale kürzen und die Steuerfreiheit der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge abbauen will? Schwierig, schwierig. Wo doch einige der Stahlwerker auch noch die Gewerkschaftszeitung "Metall" mit der Titelseite "Neoliberalismus - die falsche Politik" in der Hand halten. Am besten direkt, so Merkels Devise. Ohne Umschweife, einfach zugeschnitten. Merkel verhandelt in diesem Wahlkampf gerne mit ihren Zuhörern. Das hinterlässt zumindest schon einmal eines - viel Eindruck.

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