"Herumdoktern an Symptomen"

berlin . Das Problem ist nicht nur in den neuen Ländern akut. Auch in einigen West-Regionen herrscht mittlerweile der medizinische Notstand.

Trotz einer bundsweit ausreichenden ärztlichen Versorgung seien "Versorgungsengpässe" spürbar, heißt es in einem internen Eckpunktpapier des Bundesgesundheitsministeriums, das unserer Zeitung vorliegt. Um die angespannte Situation zu entschärfen, will Ressortchefin Ulla Schmidt (SPD) das Vertragsarztrecht entrümpeln: Zulassung von Praxisfilialen, mehr Mediziner als Angestellte, Aufhebung von Altersgrenzen bei der ärztlichen Zulassung - solche Maßnahmen sollen nach Angaben von SPD-Fraktionsvize Elke Ferner möglichst bis zum Sommer über die parlamentarischen Hürden gehievt werden. Das Vorhaben gilt auch in der Union weitgehend als unstrittig. Ob die Neuregelung allerdings das Versorgungsproblem lösen kann, darüber streiten sich die Geister. "Der Ansatz doktert nur an den Symptomen herum", heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Brandenburg. Neben einer mangelnden Vergütung hätten Ärzte mit einem enormen Bürokratieproblem zu kämpfen, so KV-Sprecher Ralf Herre. Rund ein Drittel seiner Arbeitszeit verbringe der Mediziner mit Abrechnungen, Dokumentationen oder dem Beantworten von Kassenanfragen. "Das ist Abschreckung pur." Das Land Brandenburg hat mittlerweile die geringste Vertragsarztdichte in ganz Deutschland. Zwischen Prignitz und Uckermark kommen auf einen niedergelassenen Mediziner 823 Einwohner. Im Bundesdurchschnitt sind es nur 641. Die KV Brandenburg verzeichnet 180 unbesetzte Hausarztstellen und etwa 40 vakante Facharztsitze. Jeder dritte Hausarzt ist mindestens 60 Jahre alt. Dabei wird der Wille, die Praxis früher aufzugeben, immer stärker. Eine Ursache sei der hohe Arbeitsstress. Vor fünf Jahren ging ein niedergelassener Arzt in Brandenburg noch mit etwa 65 in den Ruhestand. Heute zieht er sich im Schnitt mit etwa 61 zurück. Die Pläne von Ulla Schmidt zur Abschaffung der Altersgrenzen für niedergelassene Ärzte gehen nach Einschätzung Herres daher auch "völlig an der Wirklichkeit vorbei". Zurzeit müssen Ärzte spätestens mit 68 ihren weißen Kittel an den Nagel hängen. Außerdem dürfen sie zum Zeitpunkt der Niederlassung nicht älter als 55 sein. Ein ähnlicher Flop ist für die KV Brandenburg der Plan, wonach ein Arzt unbegrenzt weitere Mediziner einstellen kann. Nach geltendem Recht ist nur ein angestellter Doktor erlaubt. Aber schon davon wird in Brandenburg kaum Gebrauch gemacht. Die Ärzte-Lobby hält deshalb auch die geplante Möglichkeit, an unterschiedlichen Orten Praxen zu betreiben, für ein stumpfes Schwert. "Beispielsweise könnten dann Ärzte aus Berlin eine Praxis in Brandenburg eröffnen und dort Kollegen anstellen", hofft dagegen die Gesundheitsministerin. Die gesetzlichen Krankenkassen stehen Schmidts Ideen aufgeschlossen gegenüber. "Mehr Flexibilität im Vertragsarztrecht könnte den Ärztemangel beheben", heißt es in Kassen-Kreisen. Besonders erfreut sind die Assekuranzen darüber, dass ihnen der Abschluss von Einzelverträgen mit Ärzten ermöglicht werden soll, falls die Kassenärztlichen Vereinigungen die Versorgungslücken nicht selbst beseitigen. Die den Kassen dadurch entstehenden Kosten seien der KV in Rechnung zu stellen, heißt es in dem Eckpunktepapier.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort