Hinsehen statt Raushalten

Amokläufe wie der von Winnenden sind letztlich die extremste Folge von Ausgrenzung und mangelnder Kommunikation. Das glauben Gewaltpräventionsexperten aus der Region Trier. Sie plädieren für eine systematische Arbeit mit Schülern und für einen konsequenten Einsatz gegen Ausgrenzung.

 Wer ausgegrenzt wird, ist anfälliger für Gewalt – als Opfer wie als Täter. Die neuen Kommunikationsformen im Internet bergen die Gefahr einer zunehmende Verrohung der Sitten. Foto: dpa

Wer ausgegrenzt wird, ist anfälliger für Gewalt – als Opfer wie als Täter. Die neuen Kommunikationsformen im Internet bergen die Gefahr einer zunehmende Verrohung der Sitten. Foto: dpa

Trier. Patentrezepte haben die Schulsozialarbeiter und Streetworker, die in der Region Trier arbeiten, nicht anzubieten. Auch an den Schulen, die von ihnen betreut werden, sei eine Gewalttat nicht auszuschließen, räumen sie mit bemerkenswerter Ehrlichkeit ein.

Aber dass so etwas gänzlich aus heiterem Himmel kommt, glauben sie nicht. "Da muss immer etwas vorangegangen sein", sagt Irene Stangl vom Jugendnetzwerk Konz, "ein Bruch im Kontakt, in der Beziehung zu den Menschen aus dem Umfeld". Die beste Prävention sei es deshalb, "immer im Gespräch zu bleiben mit Kindern und Jugendlichen, die Probleme erkennen lassen", meint ihre Kollegin Prisca Port, die am Schulzentrum in Konz arbeitet.

Prädestiniert dafür sind die Lehrer, aber, so Port, "bei 33 Kindern in einer Klasse geht nicht viel". Helfen kann nach Auffassung von Irene Stangl ein "Diagnose-Katalog", der problematische Verhaltensweisen analysiert. Aber ohne die nötige Zeit und freie Kapazitäten sind auch die besten Ansätze zum Scheitern verurteilt.

Dazu kommt, dass es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist, die Kommunikation innerhalb von Schülergruppen überhaupt im Blick zu behalten. Denn immer mehr findet am Bildschirm statt. "Das ist Zeit, die beim sozialen Zusammensein fehlt", vermutet Ulrike Schena-Heinrich, Schul-Sozialarbeiterin in Saarburg. Soziale Kompetenz lerne man "nicht beim Chatten". Auch Mitgefühl für andere und die Fähigkeit, sich in deren Lage hineinzuversetzen, setze direkte Kontakte voraus, ergänzt Irene Stangl. Und das seien "die verlässlichsten Sicherungen gegen Gewalt-Aktionen".

Der Soziologe Waldemar Vogelgesang von der Uni Trier sieht in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem. Wo Jugendliche früher neben der Schule noch in anderen Gruppen wie Stadtteil-Cliquen, Vereinen oder Jugendgruppen aktiv gewesen seien, drehe sich heute vieles nur noch um die Schule. Wer dort "unten durch" sei, habe kaum mehr Chancen, sich in anderen Bereichen Erfolgserlebnisse zu holen. Eine Tendenz, die sich nach Vogelgesangs Überzeugung mit dem Vormarsch der Ganztags-Schule noch verstärken wird.

Daher empfiehlt er Eltern, darauf zu achten, dass ihre Kinder nicht nur in der Schule verankert sind, sondern nachmittags oder am Wochenende einen Freundes- oder Bekanntenkreis jenseits von Klassenkameraden pflegen. Das sei auch "eine Herausforderung für unsere Vereine", attraktive Angebote für Jugendliche zu machen. Auch für die wachsende Tendenz zum Online-Mobbing hat der Wissenschaftler einen Tipp: Eltern müssten sich die Mühe machen, sich in die Online-Communitys einzuklinken. Das Medium sei zurzeit "fest in Jugendhand". Jugendliche selbst würden auf das "Dissen" im Netz oft mit "Rückzug in die Ecke" reagieren. Es komme aber darauf an, Beleidigungen "nicht zuzudecken, sondern Öffentlichkeit dafür herzustellen". Nur wenn unfaire Angriffe zum Gegenstand von Kritik und Auseinandersetzung würden, könnten auch für den Online-Bereich Regeln entstehen.

Sozialarbeiter alleine auf verlorenem Posten



Die Sozialarbeiter und Streetworker der Region wollen auf die wachsenden Aufgaben mit stärkerer Vernetzung und Weiterqualifizierungsangeboten reagieren. Aber alleine sind sie auf verlorenem Posten: "Keine Sozialarbeit kann ausgleichen, was strukturell im Argen liegt", sagt Ulrike Schena-Heinrich.

Ein Seminar des AK Gewaltprävention für Lehrer zum Thema "Mobbing in der Schule" findet am 29. April in Trier statt. Anmeldung: 06501/94050; per E-Mail: i.stangl@junetko.de

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