Historischer Einschnitt

BERLIN. Nach der Gesundheitsreform sind die Krankenkassen zwar ab heute verpflichtet, den jeweiligen Beitragssatz um 0,9 Prozent zu senken. Doch auf ihrer Lohnabrechnung für Juli werden die Versicherten trotzdem weniger Netto vorfinden.

 Auf der Gehaltsabrechnung werden Arbeitnehmer wegen des Sonderbeitrags stärker zur Kasse gebeten. Foto: TV-Archiv/Friedemann Vetter

Auf der Gehaltsabrechnung werden Arbeitnehmer wegen des Sonderbeitrags stärker zur Kasse gebeten. Foto: TV-Archiv/Friedemann Vetter

Seit wenigen Tagen ist es amtlich: Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2004 einen Überschuss von 4,02 Milliarden Euro erzielt. Doch an der Beitragsfront herrscht trotzdem Katzenjammer. Neben dem normalen Kassenbeitrag ist künftig noch ein Extra-Posten für die Gesundheit ausgewiesen, der sich auf bis zu 32 Euro summieren kann. Die paradoxe Situation geht auf die Neuverteilung der Beitragskosten zwischen Arbeitnehmen und Arbeitgebern zurück. Dabei handelt es sich um einen historischen Einschnitt. Wird doch die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung zu Lasten der Beitragszahler aufgegeben. Heute beträgt der durchschnittliche Beitragssatz in der Krankenversicherung 14,2 Prozent. Davon zahlten die Arbeitgeber bislang 7,1 Prozent. Künftig geht die Rechnung so: Eine Kasse senkt ihren Beitrag zunächst von 14,2 Prozent auf 13,3 Prozent ab. Der Arbeitgeber ist hälftig mit 6,65 Prozent dabei. Dem Arbeitnehmer wird obendrein die volle Differenz von 0,9 Prozent als "Sonderbeitrag" in Rechnung gestellt. Er zahlt also nicht 6,65, sondern insgesamt 7,55 Prozent. Das bedeutet gegenüber dem alten Zustand eine Mehrbelastung von 0,45 Prozent. Wer mit seinem Gehalt an der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3525 Euro liegt, bekommt demnach im Juli knapp 16 Euro weniger ausgezahlt. Bei einem Bruttoverdienst von 1000 Euro beträgt die Mehrbelastung rund 4,50 Euro. Mit der Operation wollen Koalition und Union die Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber senken. Das Gesundheitsministerium sucht den Versicherten die Maßnahme in großflächigen Zeitungsanzeigen mit dem Hinweis schmackhaft zu machen, dass dadurch Wachstum gefördert und Arbeitsplätze geschaffen würden. Für die Krankenkassen ist die finanzielle Umverteilung ein Nullsummenspiel. Einige Institute greifen deshalb zum Trick, die "Senkung" ihres Beitragssatzes gleich mit einer Anhebung zu verrechnen. Sozialministerin Ulla Schmidt stellte in ihrer jüngsten Bilanz zur Finanzlage der Kassen aber lieber den "Erkenntnisstand" heraus, wonach sich der ausgewiesene Beitragssatz ab Juli für etwa zehn Millionen Versicherte über die gesetzlich vorgeschriebenen 0,9 Prozent hinaus verringert. Seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform im Januar 2004 hätte sich der Beitragssatz demnach für insgesamt 43 Millionen Versicherte leicht reduziert. Die 262 gesetzlichen Krankenkassen zählen rund 70 Millionen Mitglieder. Ursprünglich war der einseitige "Sonderbeitrag" für konkrete Ausgaben deklariert worden. Das Aufkommen von etwa zehn Milliarden Euro sollte die Kosten für Zahnersatz und Krankengeld abdecken. Da Rentner aber keinen Anspruch auf Krankengeld haben, wurde der Plan wieder fallen gelassen. Offiziell sind die 0,9 Prozent, die der Arbeitnehmer schultert, nicht mehr zweckgebunden.

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