Hochzeitsfoto aus dem Phantasialand

GEROLSTEIN. Hilde liebt Peter. Und Peter liebt Hilde. Der Anfang klingt nach Happy End. Doch diese Geschichte ist anders - weil die beiden anders sind.

Von jenem Tag spricht man im Gerolsteiner Lebenshilfe-Wohnheim bis heute. Eines Morgens fuhr ein Herrenausstatter vor und lieferte einen Brautanzug. Auf Peters Namen. Ärmel und Beine gekürzt, er saß wie angegossen. Dass Peter das geschafft hat, gibt seinen Betreuern noch immer Rätsel auf. Denn er kann kaum sprechen. Eine Folge des Down-Syndroms, mit dem er vor knapp 60 Jahren zur Welt kam. Einer außergewöhnlichen Welt, in der man zum Glücklichsein nur ein Stück Erdbeerkuchen braucht - und in der dem Glück doch so viel im Wege stehen kann. Zehn Jahre hängt Peters Brautanzug nun im Schrank. Ungetragen. Was ist schon normal? Dass Liebe etwas Wunderbares ist, zum Beispiel. Oder dass man mit Zielstrebigkeit weiterkommt im Leben. Beides erfuhr Peter, als er seine Hilde kennen lernte, in den 80er Jahren, bei einer Ferienfreizeit an der Nordsee. Sie, acht Jahre jünger als er und "Down-Kollegin", war damals neu im Heim in Gerolstein, er lebte in einer Außenwohngruppe. Zurück in der Eifel tauchte er immer und immer wieder bei Heimleiter Michael Kreis auf, redete und warb, bettelte und bat, was Wortschatz, Hände und Füße hergaben, bis der Pädagoge überzeugt war: Peter wollte im Heim leben. Bei Hilde. Die beiden waren das erste Paar, das im Gerolsteiner Heim zusammenzog. Inzwischen sind es fünf. Zwei weitere leben in Außenwohngruppen - mitten in der Gesellschaft. Sind geistig behinderte Liebende dort wirklich angekommen? In der Öffentlichkeit gebe es kaum Irritationen, berichtet Kreis. Im direkten Umfeld sei das zunächst anders gewesen. Mitarbeiter sahen Moralvorstellungen verletzt, Eltern taten sich schwer mit dem Gedanken, dass ihr behindertes "Kind" in einer Liebesbeziehung lebte. Auf der Dachterrasse des Wohnheims sitzt ein Paar und trinkt Kaffee. Sie legt ihre Hand an sein Kinn, zieht seinen Kopf in ihre Richtung, küsst ihn auf den Mund: Hilde und Peter. Er lächelt sie an, spricht - außerhalb der Welt der beiden kommt nur der neckende Tonfall an. Sie lacht. "Man hat das Gefühl, dass sie auf einer anderen Ebene miteinander reden", sagt Kreis‘ Stellvertreterin Brigitte Kuhn. Hilde und Peter verstehen genau, dass es um sie geht. Um sie beide. Hilde hält ihre Hand hoch und dreht einen imaginären Ring. Deutet auf Brigitte Kuhn und sagt "Klaus", dann auf eine andere Betreuerin: "Günther". Sie kenne die Namen der Ehepartner sämtlicher Mitarbeiter, erzählt Brigitte Kuhn. Heiraten - das ist nicht nur Peters großer Traum.Aus der besonderen wird eine behinderte Liebe

Doch eine Hochzeit geistig behinderter Menschen ist kaum realisierbar. Die Gefahr von Ausbeutung und Missbrauch durch einen stärkeren Partner ist groß, entsprechend hoch sind die gesetzlichen Hürden. Hier der Schutz, dort das Recht auf Selbstbestimmung - die Grenze dazwischen verläuft unkonturiert. Ein alltägliches Dilemma für die Betreuer, die immer wieder vor Fragen stehen, auf die es weder richtige noch falsche Antworten gibt. Sollen sie eingreifen, wenn Hilde Peter die Fußball-Übertragung nicht sehen lässt, auf die er sich so gefreut hat? Oder wenn er sie mit seinem Müll zur Tonne schickt? Ein Dilemma vor allem aber für die Betroffenen: Immer hat jemand mitzureden. So wird aus der besonderen eine behinderte Liebe. Hilde legt die Handflächen zusammen und führt sie ans Ohr, als wolle sie sagen, sie sei müde. Dann zeigt sie auf Peter, anschließend auf sich. Und grinst. "Die beiden haben zusammen ein Bett", übersetzt Brigitte Kuhn. Die Pädagogin hat sich eingehend mit der Sexualität behinderter Menschen beschäftigt. "Dieses Thema ist für sie genauso wichtig wie für uns", sagt sie. "Aber ihre Sexualität ist weit gefasst, es gibt eine riesige Bandbreite." Beispielsweise suchten viele Paare körperlichen Kontakt, indem sie einfach nur eng beieinander im Bett lägen. Stolz zeigen Hilde und Peter ihr gemeinsames Zimmer. Weißes Doppelbett, passender Schrank, an der rosa Wand ein Rosina-Wachtmeister-Bild. Auf einer Kommode stehen Familienfotos. Zwei Elternpaare. Geschwister. Und ein Hochzeitsbild. Hilde im Brautkleid, einen Schleier im Haar, neben ihr Peter mit Frack und dem Lächeln eines stolzen Ehemanns. Die Aufnahme stammt von einem Ausflug ins Phantasialand.

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