Hoffen, dass es ruhig bleibt: Lille im EM-Ausnahmezustand

Lille · Die nordfranzösische EM-Stadt Lille ist in diesen Tagen Wohnort Tausender Fans aus England, Wales, Russland und der Slowakei. Die Angst vor Fan-Ausschreitungen ist groß. Massive Polizeipräsenz soll Krawalle wie in Marseille verhindern.

(dpa) - Jan Ruzicka läuft mit ein paar Freunden im Schlepptau durch die Innenstadt von Lille. Der slowakische Fußball-Fan will in der nordfranzösischen EM-Stadt das Spiel gegen Russland sehen, er und seine Freunde singen und tanzen auf den Straßen. Während die Stimmung unter den Fans ausgelassen und friedlich ist, ist sie bei den französischen Sicherheitskräften angespannt.

Die Sorge vor gewaltbereiten Fans und Ausschreitungen ist nach den Ausschreitungen am vergangenen Samstag groß. Etwa 150 russische Hooligans hatten in Marseille Krawalle mit mehreren Verletzten angezettelt. Vor dem Spiel Deutschland gegen die Ukraine am Sonntag hatten in Lille etwa 50 deutsche Hooligans randaliert.

Lille beherbergt Tausende Fans. Mittwochnachmittag spielt Russland im Stade Pierre-Mauroy gegen die Slowakei, am Donnerstag wird es in der etwa 40 Kilometer entfernten Nachbarstadt Lens zur Begegnung England gegen Wales kommen. Weil Lens deutlich kleiner als Lille ist und es dort nur wenig Hotelbetten gibt, sind Anhänger von mindestens vier Nationalmannschaften dort. Frankreich kann und will sich die Bilder der brutalen Kämpfe wie vom vergangenen Samstag nicht mehr leisten.

Die UEFA hat Russland auf Bewährung vom Turnier ausgeschlossen: Gibt es Ausschreitungen russischer Fans in den Stadien, ist die EM für die Sbornaja vorbei. Mögliche Krawalle außerhalb der Stadien sanktioniert die UEFA nicht.

Der russische Sportminister Witali Mutko schließt neue Randale nicht aus. „Unsere Fans werden ständig provoziert“, sagte er der Agentur Tass. Zum Slowakei-Spiel seien etwa 12 000 Russen in Lille. Er könne nicht mit Sicherheit sagen, dass sich Ausschreitungen russischer Fans nicht wiederholen werden. Oft würden sie aber zu Unrecht bezichtigt. Außenminister Sergej Lawrow kritisierte die Festnahme dutzender Russen in Frankreich. Zugleich rügte er das Verhalten russischer Fans. „Es ist inakzeptabel, wie sich einige unserer Bürger benommen haben, die mit Feuerwerkskörpern (ins Stadion) gekommen sind.“

Ondrej aus der Slowakei sagt, er habe ein bisschen Angst vor Krawallen. „Wir sind hier, weil wir Fußball sehen wollen und keine Kämpfe“, sagt der Russe Bilial Kotkin. Angst vor Hooligans habe er nicht. „Wir sind Russen“, sagt er lachend und schaut zu seinen Freunden. „Wenn wir kämpfen müssen, können wir das.“

Terror, Streiks, soziale Proteste und dann auch noch heftige Ausschreitungen durch Hooligans. Die französischen Sicherheitskräfte sind am Limit. Allein in Lille sind vor dem Spiel rund 4000 Sicherheitskräfte im Einsatz. Kneipen sollten am Mittwochabend um Mitternacht bis Freitagmorgen geschlossen werden. Seit Dienstagabend gilt in der Stadt ein Verkaufsverbot von Alkohol.

Ein junger Russe mit kurzer Jeanshose und schwarzem Kapuzenpulli behauptet, es werde keine gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Russen und Slowaken in Lille geben. Er gibt sich als Hooligan aus, will seinen Namen nicht nennen. Russen und Slowaken seien Freunde. Russen kämpften nur gegen Ukrainer, Polen und Engländer.

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