Hunderte, Tausende - oder gar keine?

TRIER. Gut eine Woche nach der extremen Hitzewelle wird in Deutschland über Hitzetote spekuliert. Haben die hohen Temperaturen auch hier Opfer gefordert? Genaues weiß keiner.

Niemand weiß etwas, aber alle reden drüber: Hitzetote in Deutschland. Gibt es sie wirklich? Die Mediziner sagen ja, die Bestatter zucken mit den Schultern. Von ein "bisschen mehr Aufträgen" im August bis "ganz normales Geschäft" ist die Rede. Ja, was denn nun? Gestern fühlten sich die rheinland-pfälzischen Grünen bemüßigt, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen: "Wir möchten Klarheit über das wahre Ausmaß des Hitzetodes in Rheinland-Pfalz", forderte derTrierer Reiner Marz. Das "wahre Ausmaß" konnte aber auch das Mainzer Sozialministerium gestern nicht beziffern. Während der wochenlangen Hitze habe es auch in rheinland-pfälzischen Altenheimen "mehr Todesfälle als üblich" gegeben, aber von einem "Massen-Phänomen" könne keine Rede sein, sagte Sprecherin Beate Faßbender-Döring. Nun sollen die 24 Gesundheitsämter im Land dem Ministerium melden, wie viele Hitzetote es gegeben hat. Aber auch das dürfte schwierig sein. Denn Hitzetod ist keine offizielle Todesursache. Meist steht Herz-Kreislauf-Versagen im Totenschein. Beim Trierer Gesundheitsamt sieht man jedenfalls keine außergewöhnliche Zunahme der Sterbefälle in den vergangenen Wochen. Sind die Hitzetoten also nur ein aufgebauschtes Sommerlochthema? Nein, nein, sagen die Mediziner. "Es gibt mit Sicherheit viele Hitzetote", meint der Trierer Altersmediziner Roland Hardt. Vor allem sehr kranke, anfällige Ältere aber auch allein Lebende seien gefährdet, sagt Hard, der das Reha-Zentrum St. Irminen in Trier leitet. Dort habe es allerdings keine Hitzetoten gegeben. Die hohen Zahlen aus Paris hält er für realistisch und nicht überraschend "in Beziehung zur dort lebenden Bevölkerung". Hauptgrund sei die schlechte medizinische Versorgung während der Urlaubszeit. Die Zahl der Hitzetoten in Deutschland schätzt er auf "mehrere tausend". Darunter seien aber viele, vor allem Altersschwache, deren bevorstehendes Sterben die Hitze beschleunigt habe.Experten streiten über Ozonwarnungen

"Die hätten länger leben können, wenn es eine Hitze-Warnung geben würde", erzürnt sich hingegen der Freiburger Medizin-Meteorologe Professor Gerd Jendritzky, der von "mehreren hundert" Hitzetoten vor allem in Süd- und Westdeutschland ausgeht. Darunter seien keineswegs nur Ältere in Pflegeheimen, sondern auch Jüngere, die sich "unvernünftig" während der Bruthitze verhalten hätten. Daher seine Forderung: "Hitzewarnungen statt Ozonwarnungen." Bei extremer Hitze müssten die Leute vor den gesundheitlichen Gefahren gewarnt und ein Krisenmanagement erarbeitet werden, wenn die Temperaturen über einen bestimmten Wert stiegen - ähnlich den Ozonwarnungen, die er jedoch für "lächerlich" hält. "An Ozon ist noch keiner gestorben, an Hitze schon." Doch auch diese Erklärung ruft Widerspruch hervor und verwirrt den Laien vollends: Die Ursachen für die Zunahme der Sterbefälle in den vergangenen Wochen seien einerseits die enorme Hitze, andererseits die hohen Sommersmogwerte gewesen, behauptet Dieter Teufel vom Heidelberger Umwelt- und Prognose-Institut, der mit ähnlich vielen Hitze-Opfern wie in Frankreich rechnet. Anfang der 90er-Jahre seien pro Jahr in Deutschland zwischen 3000 und 4400 Menschen an den Folgen hoher Ozonwerte gestorben. "Die Ozonperiode in diesem Jahr war die schlimmste seit 20 Jahren. Gegen die Hitze lässt sich nicht viel machen, gegen die Ozonbelastung mit Fahrverboten schon." Viele Experten, viele Meinungen und totale Verwirrung. Nichts Genaues weiß man nicht. Bleibt zu hoffen, dass mit fallenden Temperaturen und dem Ende des Sommerlochs das Thema bald tot sein wird.

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