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Hyperaktive Kinder in einer hyperaktiven Welt

TRIER. Wann ist ein Kind wirklich hyperaktiv und muss behandelt werden? Kritiker bezeichnen Krankheiten wie ADS als Modekrankheit. Eltern betroffener Kinder und Mediziner wehren sich gegen die Kritik.

ADS oder ADHS – zwei Buchstabenkombinationen, die viele Eltern aufschrecken lassen. Sie stehen für eine Krankheit, die früher gerne mit dem Begriff "Zappelphilipp" erklärt wurde. Manche umschreiben die betroffenen Kinder auch als lebhaft und unkonzentriert. Erst seit einigen Jahren wird von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADS) und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gesprochen. Die Ursachen dafür sind umstritten: Experten vermuten, dass eine Stoffwechselerkrankung dahinter steckt. "Bevor man überhaupt sicher sein kann, dass ein Kind ADS hat, müssen verschiedene Diagnosen zutreffen", erklärt Alexander Marcus, Chefarzt der Trierer Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Anpassung auf Rezept"

Die Diagnose ist selbst für erfahrene Kinderärzte schwierig. Nach neuesten Schätzungen leiden drei bis sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen vier und 16 Jahren darunter – das entspricht etwa einer halben Million. Viele Eltern vermuten, wenn ihr Kind ständig stört, unkonzentriert und bewegungsfreudiger als Gleichaltrige ist, es sei hyperaktiv und müsse behandelt werden. "ADS ist zur Modekrankheit geworden", kritisiert der Koblenzer Erziehungswissenschaftler Reinhard Voß. Er warnt vor einer leichtfertigen Verabreichung der gängigen, aber umstrittenen Präparate Ritalin oder Medikinet. "Die medikamentöse Behandlung sozialbedingter Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen hat in Deutschland Tradition", sagt Voß. Das sei "Anpassung auf Rezept". "Nicht jedes Kind mit ADHS braucht auch Medikamente", stellt Marcus klar. Nur in etwa 30 Prozent der Fälle sei eine Therapie mit dem Wirkstoff Methylphenidat, das unter anderem in Ritalin enthalten ist, notwendig. Ritalin steht im Verdacht, Wachstumsstörungen oder Parkinson zu verursachen. Trotzdem hat sich die Verordnung des Präparats in den vergangenen zehn Jahren verzwanzigfacht. Kritiker sprechen sogar von einem 40-fach höheren Absatz. Und das, obwohl sich die Zahl der auffälligen Kinder nicht erhöht habe, wie Marcus feststellt. 50 000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene schlucken nach Angaben der Kinderpsychiatrie der Uni Köln täglich eines der genannten Präparate. Das heiße aber nicht, dass nur Kinder, die das Medikament benötigen, es auch tatsächlich bekommen, sagte der Kölner Kinderpsychiater Manfred Döpfner der "Ärztezeitung". In den USA seien 50 Prozent der Kinder, die Methylphenidat schlucken, gar nicht hyperaktiv. Döpfner geht davon aus, dass auch in Deutschland viele Kinder ohne fundierte Diagnose etwa Ritalin verabreicht bekommen. Um die Zahl der verordneten Medikamente und stationären Behandlungen zu verringern, wurde nun ein integrierter Versorgungsvertrag zwischen den Ersatzkassen und den Psychotherapeuten abgeschlossen. "Es wird eng mit allen Beteiligten zusammengearbeitet", erklärt Barmer-Bezirkschef Norbert Dixius. "Ritalin ist der letzte Ausweg. Wer das Mittel nimmt, darf nicht verteufelt werden", tritt Heike Hemgesberger-Grünen von der ADS-Selbsthilfegruppe "Sternschnuppe" den Kritikern entgegen. "Medikamente sind nur ein Teil eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei ADS oder ADHS", verteidigt Sven Schellberg vom Ritalin-Hersteller Novartis das Produkt. In den Treffen der Selbsthilfegruppe gehe es nicht darum, betroffenen Eltern Listen in die Hand zu drücken, bei welchem Arzt sie am ehesten Ritalin für ihr Kind verschrieben bekommen, so Hemgesberger-Grünen. "Wir zwingen niemanden, die Tabletten zu nehmen." Viele Eltern und Lehrer wollten oft nicht wahrhaben, dass ihr Kind oder ihr Schüler unter ADS oder ADHS leide. Kinder werden mit Reizen überflutet

Doch wann ist ein Kind wirklich krank und muss behandelt werden? "Nicht jedes Kind, das Schulprobleme hat, unkonzentriert oder sehr zappelig ist, ist tatsächlich krank", sagt Marcus. Für Aufmerksamkeitsstörungen gebe es viele Ursachen: "Die Kinder werden heute mit Reizen überflutet: Fernsehen, Gameboy, Computer." Keinesfalls, so Marcus, dürften die Medikamente eingesetzt werden, nur um bessere schulische Leistungen zu erreichen. Eine Info-Veranstaltung über neue Wege der ADS-Behandlung findet am Mittwoch, 27. April, 17.30 Uhr, in der Kassenärztlichen Vereinigung Trier, Balduinstraße 10-14, statt. Vier Experten diskutieren mit dem Publikum. Veranstalter sind die Kassenärztlichen Vereinigung, die Barmer und Novartis. Schirmherrin ist die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer.

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