"Ich gehe lieber meinen Weg"

BERLIN. Schon heute ist Angela Merkel die wohl mächtigste Frau der Bundesrepublik. Zudem hat die CDU-Chefin gute Chancen, erste Bundeskanzlerin zu werden. Am Samstag wird sie 50. Aus diesem Anlass sprach der TV mit ihr über aktuelle Themen, aber auch über ihre Vorbilder und Träume.

Frau Merkel, haben Sie Mitleid mit der SPD? Die Partei wird böse bestraft für Reformen, die der Union nicht mal genügen. Es gibt Gegenden in Deutschland, wo ein Genosse als bedauernswerter Exot betrachtet wird.Merkel: Mitleid hab ich deshalb nicht, weil sich die SPD einen Teil ihrer Schwierigkeiten selbst zuzuschreiben hat. Die Erschütterungen, die die SPD erreicht haben, hängen sicherlich auch damit zusammen, dass die Partei in zwei Bundestagswahlkämpfen das Gegenteil davon versprochen hat, was sie jetzt tut. Das verbittert und erbost die Menschen, das hat Vertrauen zerstört. Die SPD droht sogar ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren. Sehen Sie darin eine Gefahr für das demokratische Gemeinwesen? Merkel: Ich sehe das mit Sorge, wenn eine Volkspartei an Fundament einbüßt. Weil das auf die Statik des Parteiengefüges nicht ohne Einfluss bleibt. Das bedeutet für die CDU, dass wir um das Vertrauen, das in der Bevölkerung angekratzt ist, verstärkt werben müssen. Aber es gibt eben überhaupt keinen Grund für uns, übermütig oder hochnäsig zu sein. Sie müssten dem Kanzler doch eigentlich dankbar sein: Er hat die Reformen angepackt und den Umschwung eingeleitet, von dessen Energie Sie schon bald als Kanzlerin profitieren könnten. Merkel: Es ist ja so, dass wir als Union vor 1998 eine ganze Reihe von Reformen begonnen haben, die bedauerlicherweise wieder zurückgedreht wurden. Hätte es Herr Schröder so gemacht wie Tony Blair, der die Reformen von Maggy Thatcher übernommen und fortgeführt hat, dann hätte sich der Kanzler manchen Ärger ersparen können. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl ist noch ein Stück des Weges zu gehen, und ich sage deshalb auch: Konzentrieren wir uns auf die nächsten Wahlen. Rechnen Sie damit, dass Schröder vor der Zeit, also vor 2006, aufgeben wird? Schließlich spricht vieles dafür, dass die CDU Anfang nächsten Jahres auch die Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW gewinnt. Merkel: Ich gehe davon aus, dass Rot-Grün diese Legislaturperiode zu Ende regieren wird. Aus einem einfachen Grund: Je schlechter man in den Umfragen dasteht, umso unwahrscheinlicher ist es, dass man Neuwahlen anstrebt. Aber welchen Sinn würde es machen, gegen eine Zweidrittel-Mehrheit der Union im Bundesrat zu regieren und das Land bloß noch zu verwalten? Merkel: Die Politik der Union als konstruktive Opposition würde sich auch dann nicht verändern. Die Menschen erwarten von uns, dass wir nicht parteipolitisch taktieren, sondern staatspolitisch agieren. Alles andere würde uns in den Augen der Bevölkerung unglaubwürdig machen. Das heißt, die Zeit bis zur Bundestagswahl 2006 würde dann von einer Art Großen Koalition überbrückt werden? Merkel: In vielen Bereichen haben wir ja schon heute eine Situation - siehe Zuwanderungsfrage, siehe Gesundheitskompromiss, siehe Steuerreform - in der die Union Verantwortung mit übernommen hat. Daran würde sich nichts Grundsätzliches ändern. Wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen, werden wir uns nicht verweigern. Irritiert es Sie, dass die Bürger der Union trotz aller Sympathie auch nicht viel mehr zutrauen als Rot-Grün? Im jüngsten Politbarometer meinen nur 27 Prozent der Befragten, dass Sie es besser könnten. Merkel: Ich glaube, dass Regierungen abgewählt werden, und nicht, dass eine Opposition wegen ihrer Alternative gewählt wird. Dennoch habe ich nicht ohne Bedacht gesagt, dass es für uns darauf ankommt, unsere Alternativen noch deutlicher zu machen und mit einer Verheißung zu verbinden. Es muss deutlich werden, wie wir uns Deutschland vorstellen, und zwar in allen Facetten. Da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns. Das glaubt man sofort, denn noch ist unklar, wie Sie sich Deutschland vorstellen. Zum Beispiel sind die sozial- und steuerpolitischen Vorstellungen von CDU und CSU nicht kompatibel.Merkel: Wir arbeiten daran, dass wir dies bis Ende des Jahres zusammenführen. Sie haben in dieser Woche öffentlich auf Defizite der Partei hingewiesen. Ihrem Parteifreund Roland Koch hat das missfallen, er ist mit dem Diskussionsstand in der Union "sehr zufrieden". Auch Ihr Stellvertreter Jürgen Rüttgers sieht allenfalls ein Problem in der von Ihnen favorisierten Kopfpauschale. Merkel: Es ist unstrittig, dass die CDU an vielen Punkten gut aufgestellt ist. Mir geht es aber darum, die Alternativen der Union im Interesse der Menschen noch klarer zu formulieren. Und über dieses Etappenziel gibt es keinen Streit. Im übrigen heißt es nicht Kopfpauschale, sondern Gesundheitsprämie. CSU-Vize Horst Seehofer nennt diese Pauschale oder Prämie einen "Sympathiekiller". Die CSU ist strikt dagegen. Auch Rüttgers schießt quer und verlangt eine Änderung. Merkel: Herr Rüttgers stellt nicht die Prämie in Frage, er befasst sich mit der Finanzierung des sozialen Ausgleichs. Warum beharren Sie so energisch auf Ihrem Prämienmodell, wo jede Person unabhängig von ihrem Einkommen den gleichen Betrag für die Krankenversicherung zahlen muss? Merkel: Nicht jede Person muss gleichviel zahlen, es gibt ja einen Sozialausgleich. Zwei Gründe sprechen eindeutig für die Prämie: Die Abkoppelung der Versicherungsbeiträge von den Arbeitskosten, und der verstärkte Wettbewerb im System. Die Abkoppelung der Arbeitskosten ist das herausragende Ziel. Wenn man das wieder halbiert auf dem Weg, dann würde auch der Beschäftigungseffekt, den die Prämie bringt, geringer werden. Auch seriöse Kritiker sagen, das Projekt sei finanziell nicht zu stemmen, da der steuerfinanzierte Zuschuss für sozial Schwache zu teuer würde. Merkel: Gehen wir mal auf die Sachebene: Ich verstehe, wenn man sagt: Das ist ungewohnt. Aber das System wird ja heute auch bezahlt - und zwar von allen, die gesetzlich krankenversichert sind. Jedoch nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von rund 3500 Euro. Das heißt: Nicht alle Einkommen werden heran gezogen und nicht alle Menschen tragen dazu bei, denn rund zehn Prozent sind privat versichert. Jetzt geht es einfach um die Frage, ob man 100 Prozent der Einkommen und 100 Prozent der Menschen mit der Zahlung des Gleichen beauftragt, was heute von 90 Prozent der Menschen bis 3500 Euro Bemessungsgrenze bezahlt wird. Da kann mir keiner sagen: Man kann es nicht bezahlen. Man kann höchstens fragen: Wie kann man es bezahlen? Ist es gerecht? Ist es denn gerecht, wenn Besserverdiener deutlich entlastet werden? Merkel: Wir haben klar gesagt: Keiner muss mehr bezahlen als bisher. Ich kann nicht erkennen, warum unser Modell nicht möglich sein soll. Sie haben Verständnis für die ostdeutschen Ministerpräsidenten geäußert, die sich durch Hartz IV benachteiligt sehen. Reicht Ihnen die Zusage des Kanzlers, in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit Abfederungsmechanismen einzubauen? Merkel: Was am Montag im Kanzleramt besprochen wurde, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Ich finde, dass die Menschen in den neuen Bundesländern, aber natürlich auch im Westen, ein Recht darauf haben, dass man die Situation in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit besonders im Auge hat, weil dort die Auswirkungen des Gesetzes größer sein werden als in Dresden oder in München. Wie viel ist den Bürgern nach der Gesundheitsreform, den Hartz-Gesetz und drohender 40- oder mehr Stundenwoche überhaupt noch zuzumuten? Der Union reichen die Maßnahmen ja noch lange nicht aus. Merkel: Es geht doch darum, den Menschen wieder eine Perspektive zu geben. Es geht darum, im Wohlstand nicht massiv abzusinken, ihn vielmehr zu halten und ihn vielleicht sogar wieder zu steigern. Dieses Ziel wird von den Menschen geteilt, wenn sie den Eindruck haben, auf dem Weg dahin geht es einigermaßen gerecht zu. Der Eindruck drängt sich nicht auf.Merkel: Auch wir Politiker können das Ziel nicht durch Wunderheilung bewirken. Wir können doch nicht tatenlos zugucken, wenn jeden Tag 1000 Arbeitsplätze aus Deutschland verschwinden. Das gilt es zu verhindern. Wenn die Alternative heißt: Entweder du arbeitest 40 Stunden, oder du verlierst deine Arbeit. Dann haben sich die Arbeitnehmer beispielsweise bei Siemens klar für Erhaltung der Arbeitsplätze entschieden. Wir müssen uns dem Wettbewerb in der Globalisierung offensiv stellen. Mein Anspruch ist, dass wir unter den Wettbewerbern in der vorderen Gruppe liegen. Das hilft uns allen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Frau Merkel, am Samstag werden Sie 50 Jahre alt. Hat das Datum für Sie eine besondere Bedeutung? Merkel: Wer so tut, als würde der 50. Geburtstag ihn gar nicht anrühren, lügt sich in die Tasche. Ich schaue zurück auf fünf gute Jahrzehnte, aber auch optimistisch in die Zukunft. Also - es ist schon ein Tag der Besinnung oder des Innehaltens. Hat Sie das Alter gelassener gemacht?Merkel: Ich bin mehr mit mir im Reinen. Ich habe die Träume abgelegt, was alles aus mir hätte werden können, Eiskunstläuferin oder Turnerin. Damit bin ich jetzt durch. Ich freue mich an mir, so wie ich bin, und damit ist man auch ein Stück gelassener geworden, keine Frage. Aber ich bin immer noch hinreichend neugierig aufs Leben. Man sagt, Sie seien auch misstrauischer geworden. Merkel: Nee, mit Sicherheit nicht. Mag sein, dass ich ein gesundes Misstrauen habe. Aber misstrauischer bin ich nicht geworden. Ihr Duzfreund Michael Glos hat Ihnen "Auffassungsgabe, Beherrschungsvermögen, Charme, Durchsetzungskraft, Energie und Führungsfähigkeit" bescheinigt. Alles, was ein Kanzler braucht. Merkel: Michel Glos hat aber die negativen Eigenschaften, die er vielleicht auch an mir sieht, nicht aufgeführt. Außerdem seien Sie "uneitel bis zum Exzess, frisch und unbekümmert". Das ist ja fast eine Liebeserklärung. Merkel (lacht): Ob ich wirklich so uneitel bin, daran hab ich meine Zweifel. Sie werden immer wieder mit Maggy Thatcher verglichen. Schmeichelt Ihnen das, oder haben Sie eher ein männliches Vorbild - etwa Helmut Kohl? Merkel: Ich habe keine Vorbilder im politischen Bereich. Ich gehe lieber meinen Weg, aber ich habe natürlich von Personen gelernt, allemal von Helmut Kohl. Bei Frau Thatcher ist es so, dass ich große Hochachtung davor habe, was sie in Großbritannien bewegt hat. Aber es gibt einen Punkt, an dem wir die Dinge grundverschieden betrachten: Die deutsche Einheit. Sie erwähnten eben Ihre alten Träume, zum Beispiel Eiskunstläuferin zu werden. Träumen Sie jetzt von einem anderen Ziel - die erste Bundeskanzlerin zu werden? Merkel: Ich träume unpolitisch. Das Gespräch führte Bernard Bernarding.

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