„Ich habe Fehler gemacht, bin aber nicht verantwortlich“

Luxemburg · Der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker hat sich gestern zunächst geweigert, wegen einer Geheimdienstaffäre zurückzutreten. Nach sieben Stunden Debatte im Parlament kündigt er dann am Abend doch noch den Rücktritt der schwarz-roten Regierung an.

Jean-Claude Juncker ist Opfer seines eigenen Geheimdienstes geworden. In doppelter Hinsicht. Im Januar 2007 hat der damalige Chef des Service de renseignement de l'Etat luxembourgeois (SREL) ein Gespräch mit Premierminister Juncker aufgezeichnet - mittels einer in einer Armbanduhr versteckten Wanze. Und genau dieser Geheimdienst, den er als Staatsminister kontrollieren sollte, ist der Grund dafür, warum der 58-Jährige gestern um 14.59 ans Rednerpult der Luxemburger Abgeordnetenkammer tritt. Juncker nimmt ausführlich Stellung zu dem 130 Seiten umfassenden Untersuchungsbericht zu der Luxemburger Geheimdienstaffäre.

Nach 50 Sitzungen ist die Mehrheit der Mitglieder der parlamentarischen Untersuchungskommission zu dem Schluss gekommen, dass Juncker den SREL nicht im Griff hat und allein verantwortlich ist für die Pannen und Peinlichkeiten der Schlapphüte im Großherzogtum. Er habe nur begrenzten Einfluss auf den Geheimdienst gehabt und das Parlament zu spät über Machenschaften der Agenten informiert, heißt es in dem Bericht.

Zu den seltsamen Unternehmungen des SREL haben demnach auch der Handel mit Dienstwagen, bezahlte Wohnungen für Ex-Staatsbeamte sowie illegale Abhöraktionen bei Politikern, Polizei, Armee und führenden Juristen im Land gehört.

Fakt ist: Der luxemburgische Geheimdienst hat ein Eigenleben geführt. Hintergrund ist die sogenannte Bommeleer-Affäre (Bombenleger-Affäre). In den 1980er Jahren haben mehrere (bis heute unaufgeklärte) Bombenanschläge das Nachbarland erschüttert. Immer wieder ist darüber spekuliert worden, dass der Geheimdienst seine Finger im Spiel haben könnte. Womöglich um die wahren Hintermänner der Anschläge zu schützen. Denn selbst der Luxemburger Prinz Jean, der Bruder des heutigen Großherzogs Henri, rückte damals in den Fokus der Ermittler. Juncker soll davon gewusst und darüber mit dem Großherzog gesprochen haben.

Eine Aufzeichnung dieses vertraulichen Gespräches ist später beim Geheimdienst aufgetaucht. Erst im Zusammenhang mit dem seit Februar laufenden Prozess gegen zwei Polizisten einer Spezialeinheit, die zusammen mit Kollegen die Anschläge inszeniert haben sollen, ist bekannt geworden, dass das Gespräch aufgezeichnet worden ist. Auch bei dem abgehörten Gespräch zwischen dem SREL-Chef und Juncker ist es um die angebliche Verwicklung der großherzoglichen Familie in die Bombenleger-Affäre gegangen. Als die Staatsanwaltschaft vor acht Jahren die Ermittlungen wegen der Anschläge wiederaufnahm, soll der Geheimdienst einen Privatdetektiv auf den Oberstaatsanwalt angesetzt haben - mit dem Ziel, ihm Verbindungen zu einem Pädophilen-Ring nachzuweisen.

Von dieser Operation namens Catana habe er nichts gewusst, wehrt sich Juncker gestern während seiner teilweise sehr emotionalen Rede. Immer wieder widerspricht er in dem Untersuchungsbericht gemachte Vorwürfe gegen ihn. Er habe nichts von den illegalen Abhöraktionen gewusst und diese auch nicht genehmigt. Es sei richtig, dass der Geheimdienst nicht "meine erste Priorität war", räumt der Premier zwar ein - und bezeichnet ihn als "geheimnisvolle Welt". Er habe "noch viele andere wichtige Themen, die mir am Herz liegen. Trotzdem habe ich mich um den Geheimdienst gekümmert."

Er behaupte nicht, dass er keine Fehler gemacht habe, sagt Juncker. Er habe aber keine illegalen Aktionen gedeckt. Dass es fünf solcher Aktionen seit dem Jahr 2000 gegeben habe, bestätigt er. Er könne keine persönliche Verantwortung erkennen, beendet Juncker kurz vor 17 Uhr seine Rede. Seinen Rücktritt bietet er zunächst nicht an.

Als Alex Bodry, Fraktionschef der mit Junckers CSV regierenden Sozialisten Juncker zum Rücktritt auffordert, ist klar, dass die schwarz-rote Koalition in Luxemburg geplatzt ist. Zunächst sieht es so aus, als ob die Opposition und die Sozialisten Juncker per Misstrauensanträge aus dem Amt kegeln werden. Doch dazu kommt es nicht. Am Ende der Debatte kurz vor 21 Uhr ergreift ein sichtlich enttäuschter Premier noch einmal das Wort. Er hätte nie gedacht, dass ihm die LSAP in den Rücken falle, sagt er kurz und bündig. Er werde heute zum Großherzog, der luxemburgischer Staatschef ist, gehen und ihm den Rücktritt der gesamten schwarz-roten Regierung anbieten und Neuwahlen vorschlagen.Extra

"Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt anfange zu schwitzen, dann nicht, weil ich Angst habe, sondern weil es heute so schrecklich heiß ist." "Das Dilemma, wie sich ein Geheimdienst kontrollieren lässt, dessen primäre Aufgabe es ist, im Geheimen zu arbeiten, hat noch kein Land gelöst. Ich kann es auch nicht." "Der Geheimdienst war nicht meine erste politische Priorität. Und ich wünsche unserem Land keinen Premierminister, für den der Geheimdienst das Wichtigste ist." "Und darum kann ich beim besten Willen - aber ich befinde mich in der Hand des Parlaments - keine persönliche Verantwortung , auch subjektiver Natur, erkennen." "Wenn ihr das meint, dann stimmt ab."

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