"Ich habe in Abgründe geschaut"

Berlin · Seit Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin ist, hat sie sich hauptsächlich mit bundeswehrinternen Problemen und Skandalen auseinandersetzen müssen. Nun stellt das Amt ganz neue Ansprüche an sie: Es geht in den Krieg.


Berlin. Eine Frau in diesem Amt, schon das war eine Sensation. Dann diese. Von der Statur eher Püppchen als General, dazu noch siebenfache Mutter. Als Ursula von der Leyen (CDU) vor zwei Jahren zur Verteidigungsministerin ernannt wurde, traute man ihr den Job nicht zu. Weil sie gleich die "familienfreundliche Bundeswehr" ausrief, schienen die Macho-Vorurteile schon zu Beginn bestätigt zu sein. Pampers statt Panzer. Die spielt nur Verteidigungsministerin, hieß es bald in Berlin, nachdem sie für einige Fotos zuviel posiert hatte. Und das nicht einmal gut.
Jetzt führt Ursula von der Leyen, die für die Soldaten offiziell die Inhaberin der obersten Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) ist, ihren ersten eigenen Krieg. 1200 Einsatzkräfte für die Bekämpfung des IS in Syrien und Irak, eine Fregatte und sechs Tornado-Kampfflugzeuge wird der Bundestag dafür heute genehmigen. Zwar nur zur Luftaufklärung, aber gefährlich genug.
Jetzt ist alles sehr ernst. Gestern stand die Ministerin den Hauptstadt-Journalisten eine Stunde lang Rede und Antwort, sehr ruhig, sehr sachlich. An ihrer Seite Generalinspekteur Volker Wieker. Er ist für die militärischen Details zuständig, denn von der Leyen ist immer noch viel mehr Generalistin als General. Allerdings steht sie bei internationalen Fragen wiederum deutlich hinter Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zurück, der ihr auf diesem Feld im Übrigen auch nicht viel Raum lässt. Das konnte man am Mittwoch bei der Bundestagsdebatte sehen.
Ursula von der Leyen bleibt da nur die Rolle der Motivatorin. Die 57-Jährige ist dafür zuständig, die eigene Truppe und die Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit des Einsatzes zu überzeugen. Im aktuellen Fall hat sie sich für eine drastische Wortwahl entschieden. Dass der IS Menschen "abschlachtet" und "massakriert", sagt sie, und immer wieder den Satz: "Wir lassen uns nicht einschüchtern." Bei jedem Wort geht die Faust dann entschlossen nach unten. "Ich habe", sagte sie gestern, "in Abgründe geschaut". Sie meinte damit vor allem das Schicksal der Jesiden. Bei einem Besuch im Nordirak ist sie einigen Überlebenden im Sommer begegnet. Als im Bundestag eine Abgeordnete der Linken meinte, die Bombardements der internationalen Allianz sorgten für die Flüchtlingsströme, herrschte von der Leyen die Dame regelrecht an: "Ich höre wohl nicht richtig! Die Flüchtlinge fliehen vor dem IS!"

Nun kommt alles anders


Bei ihrem Amtsantritt im Verteidigungsressort stand noch der Rückzug aus Afghanistan auf der Tagesordnung. Und wenn ihr etwas Sorgen bereitete, dann alte Rüstungsskandale. Den eigenen Laden effizienter, kontrollierter, verantwortlicher machen, das schien ihre Kernaufgabe zu sein für den Rest der Zeit. Und eigentlich konnte sie, bei einigem Fleiß, nur gewinnen und so vielleicht doch eines Tages Angela Merkel beerben. Doch jetzt ist es anders gekommen.
Frau Verteidigungsministerin ist Kriegsherrin geworden. Der nächste Einsatzbefehl, 650 Mann ins gefährliche Mali, winkt schon. Er wird im Januar beschlossen werden. Dazu kommen die Aufstockung der Afghanistan-Mission und vieles mehr. Für alles was schiefgehen kann bei diesen Einsätzen, auch für alle Opfer, trägt nun sie die politische Verantwortung. Sie gibt den Einsatzbefehl. Der Abgrund wird zurückschauen. Ach, und dann ist da noch ihre medizinische Doktorarbeit. Die Universität Hannover prüft sie derzeit auf Plagiate. Nach allem, was man bisher hört, ist der Entzug des Titels absolut nicht unwahrscheinlich. Es kann jeden Tag abrupt geschehen. Aber das ist derzeit fast nur ein kleiner Abgrund.

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