„Ich werde bestraft, weil ich arbeite“

TRIER. 140 Euro pro Kind – so wurde es Anfang des Jahres versprochen. Doch der Kinderzuschlag für Geringerverdiener entpuppt sich immer mehr als Rohrkrepierer. Kaum einer erfüllt die Kriterien dafür.

Familienministerin Renate Schmidt ließ sich Ende vergangenen Jahres feiern: Sie tue was für die Familien, entlaste sie. Wer Kinder hat, zahlt weniger bei der Pflegeversicherung und wer zu wenig verdient, erhält ab Januar einen Zuschlag von 140 Euro pro Kind – zusätzlich zum Kindergeld. 150 000 Kinder in 64 000 Familien sollen damit aus dem Arbeitslosengeld II herausgeholt werden. 217 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt für den Kinderzuschlag vorgesehen.

Doch die familienpolitische Revolution ist ausgeblieben. 90 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Denn ob Geringverdiener tatsächlich 140 Euro pro minderjährigem Kind kassieren, hängt von zahlreichen Details ab. Jedenfalls gibt es so viele Ausschlusskriterien, dass fast jeder Antrag im Papierkorb landet: „Antrag auf Zahlung von Kinderzuschlag abgelehnt“, wird den Antragstellern lapidar mitgeteilt.

Auch ein Widerspruch, wie ihn die allein erziehende Mutter Stefanie Schmitt aus dem Kreis Trier-Saarburg eingelegt hat, bringt in den seltensten Fällen etwas: „Der Widerspruch ist sachlich nicht begründet“, wurde ihr mitgeteilt. Die 30-Jährige will nun gegen die „Ungerechtigkeit“ vorgehen, notfalls per Gericht. „Ich werde bestraft, weil ich für mein Geld arbeiten gehe. Würde ich weiter Sozialhilfe bekommen, hätten meine Tochter und ich mehr.“ Stefanie Schmitt ist einfach nicht arm genug, sie liegt mit ihren knapp 350 Euro, die ihr und ihrer siebenjährigen Tochter im Monat bleiben, ein paar Euro über dem Mindesteinkommen. Kaum einer versteht die Kriterien, nach denen Geringverdiener oder Familien mit niedrigem Einkommen beim Kinderzuschlag abgelehnt werden.

Selbst eine sechsköpfige Familie, in der der Vater als Bäckergeselle netto 1580 Euro verdient, erhält den Zuschlag nicht. Jeden Monat sind die Raten fürs Haus und den Gebrauchtwagen fällig. Die Älteste geht aufs Gymnasium. Damit sie über die Runden kommen, geht die Frau noch arbeiten – für den Minijob bekommt sie 389 Euro. Der Antrag auf Kinderzuschlag wurde abgelehnt. Begründung: Die Familie erreicht wegen des Minijobs der Mutter die Einkommensobergrenze. „Den Kinderzuschlag können nur Eltern erhalten, wenn sie über Mindesteinkommen oder Vermögen verfügen, mit dem sie ihren eigenen Bedarf decken“, erklärt Jasmin Metzdorf von der Trierer Arbeitsagentur. Dort kennt man den Frust vieler Antragssteller. Auch hier sind die meisten Anträge bislang abgelehnt worden. Bei 80 Prozent der noch nicht bearbeiteten Anträge bestünden Rückfragen wegen falscher oder unvollständiger Angaben, heißt es. Doch wer selbst Rückfragen hat, hat kaum eine Chance zu den Sachbearbeitern durchzukommen. Das Telefon bei der Familienkasse ist fast immer besetzt. Daher empfiehlt Metzdorf, es doch per Mail zu versuchen: Trier.Familienkasse@arbeitsagentur.de.

Für Sozialexperten ist der Kinderzuschlag nur Augenwischerei. Eltern mit sehr niedrigem Einkommen werden ohnehin vom Staat unterstützt – sie erhalten ergänzende Sozialhilfe. Die Unterschiede zwischen beiden Transferleistungen fällt nach Berechnungen der Experten nur sehr gering aus. Sozialhilfe und Kinderzuschlag würden sich kaum in der Höhe unterscheiden. Und um weiterhin mit dem wohlklingenden Namen Kinderzuschlag zu beeindrucken, will Ministerin Schmidt den Kinderzuschlag sogar erhöhen. In erster Linie gehe es darum, Alleinerziehende zu unterstützen, damit sie arbeiten gehen können und die Kinder nicht in Armut leben müssen, sagte die Familienministerin kürzlich. Stefanie Schmitt kann über so vollmundige Ankündigungen nur lachen. Sie geht arbeiten, wollte raus aus der Sozialhilfe. Sie versucht ihrer Tochter, ein halbwegs vernünftiges Leben zu bieten. Doch viel kann sie ihr nicht bieten, auch die 241 Euro Unterhalt bringen nicht viel. Mit dem Kinderzuschlag hätte sie ihrer Tochter vielleicht den gewünschten Ballett-Unterricht bezahlt oder mal einen Kino-Besuch.

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