Ideen statt Placebos

Zugegeben, der Gedanke ist reizvoll: Die deutsche Staatsbürgerschaft steht nur noch demjenigen zu, der die Sprache halbwegs ordentlich beherrscht, mindestens je drei deutsche Philosophen und Mittelgebirge kennt und die wichtigsten Verfassungsgrundsätze nennen kann.

Die Frage ist nur: Was machen wir mit den Millionen (bislang) Deutscher, die dann ausgebürgert werden müssen? Oder erwarten wir von denen, die der Zufall mit deutschen Eltern gesegnet hat, weniger staatsbürgerliche Kompetenz als von einem, der freiwillig Mitglied der Deutschland AG werden will? Und was ist mit den Millionen Aussiedlern aus dem Osten, die dank des deutschstämmigen Schäferhunds der Großtante schon an der Grenze mit einer Staatsbürgerschaftsurkunde empfangen wurden - natürlich einer bedingungslosen - und deren Kinder jetzt in manchen Fällen die Probleme verursachen, die die künftigen Einbürgerungswilligen ausbaden sollen? Im Ernst: Das Thema ist zu wichtig, als dass man es im populistischen Wahlkampfgeklingel untergehen lassen sollte. Also sortieren wir die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen. Was soll beispielsweise eine Eidesformel nutzen, die jeder nachplappern kann? Radikale Islamisten abschrecken? Das ist ein Wahlkampf-Placebo für den rechten Rand der CDU, nicht mehr. Der Staatsbürger-Test? So kann man herausfinden, wer gut auswendig lernt und wer das richtige Repetitorium besucht hat (und wer es sich leisten kann!), aber nicht, wer ein guter Deutscher werden könnte. Aber da bleiben noch die Integrations- und Sprachkurse. Und das ist ein durchaus sinnvoller Ansatz. Und zwar nicht nur für Staatsbürgerschafts-Kandidaten. Wer auf Dauer in Deutschland leben will, ob als Einbürgerungs-Aspirant, bereits eingebürgerter Neu-Deutscher, als legaler Arbeitnehmer, Lebensgefährte, Fußballprofi oder was auch immer, sollte wissen, in welcher Gesellschaft er lebt - und er sollte sich verständigen können. Offenbar ist diese Überlebensnotwendigkeit allein auf freiwilliger Basis nicht herstellbar. Man wird also darüber nachdenken müssen, entsprechenden Druck auszuüben. Und zwar für alle, die es betrifft. Das aber setzt erstens Ideen voraus und zweitens Geld. Zurzeit werden entsprechende Angebote eher in der Spar-Mühle zerhäckselt als ausgebaut. Das wäre das dringendste Betätigungsfeld für eifrige, besorgte Politiker. d.lintz@volksfreund.de

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