Im Bundestag fliegen die Fetzen

Die sommerliche Schläfrigkeit im Bundestag ist vorbei. Erwartungsgemäß ist die Debatte über den Etat der Republik zum verbalen Schlagabtausch zwischen Regierungskoalition und Opposition geworden.

Berlin. Gregor Gysi, immer ein bisschen der Parlamentsclown von der linken Seite, trifft mit dem ersten Satz seiner Rede ziemlich genau den Punkt: "Sie haben heute ein beachtliches Kämpfertum gezeigt", ruft er der Kanzlerin zu. Und der Fraktionschef der Linken stichelt weiter: Da sehe man mal, "zu welchen Leistungen Frust und Verzweiflung führen können".

Große Heiterkeit im Hohen Haus, Angela Merkel nimmt da gerade die Gratulation des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder entgegen. Der Urlaub in den Bergen samt innerer Einkehr, die Sommerpause haben ihr offenbar gut getan.

Gleiches gilt aber auch für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Er attackiert die Kanzlerin im Bundestag engagiert. Die Generaldebatte anlässlich der Haushaltswoche wird zu einem vehementen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition.

FDP-Chef Guido Westerwelle hat ihr ja den Tipp gegeben, wie er am Abend vorher verrät - Merkel müsse offensiv in die Debatte gehen. Das tut sie auch. Freilich deshalb, weil sie keine andere Wahl mehr hat: Der Herbst der heiklen Entscheidungen ist angebrochen.

Dümpelte die schwarz-gelbe Koalition bis zur Sommerpause monatelang zerstritten vor sich hin, so gilt es jetzt, das umstrittene Sparpaket und den Etat 2011 auf den Weg zu bringen; zudem muss das Energiekonzept verteidigt und umgesetzt werden; und überdies stehen die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze genauso an wie die Gesundheits- und Bundeswehrreform mit dem historischen Aus für die Wehrpflicht. Das sind die Themen, die Merkel keine Chance mehr lassen, sich länger zurückzuhalten. Zumal nicht nur die Opposition einen heißen Herbst ausgerufen hat. Im schwarz-gelben Lager ist angesichts der Umfragen der Hang zur Meuterei größer geworden.

Merkels Rede ist deshalb auch darauf angelegt, die eigenen Reihen sauber zu schließen. Das gelingt ihr: Kräftig applaudieren die Regierungsfraktionen während des Kanzlerinnen-Auftritts. Und Merkels Kabinettsriege, die zunächst - wie so oft - träge auf ihren Stühlen hockt, erwacht zum Leben, als sie der SPD "Schritt für Schritt eine Rolle rückwärts" vorwirft. Für keine der Herausforderungen, ätzt Merkel, hätten die Sozialdemokraten Antworten. "Wir haben gezeigt, was in uns steckt", ruft sie. Nach ihrer Rede geht die Kanzlerin zu ihren Ministern, um sich loben zu lassen.

Sigmar Gabriel schimpft zum Auftakt der Debatte wie ein Rohrspatz, der Regierung fehle jegliche Vorstellung, was Gemeinwohl sei. Bis heute zahlten die Finanzmärkte "keinen Cent zur Beseitigung der Schulden der Finanzkrise". Außerdem spare Schwarz-Gelb an den falschen Stellen. "Wenn Sie regieren, bedienen Sie im Wesentlichen Klientelinteressen", wettert er. Gabriel verweist auf den Steuerrabatt für Hoteliers, auf die Erbschaftssteuer und die Absprachen mit den AKW-Betreibern über längere Laufzeiten.

Anfänglich wirkt Merkel noch amüsiert von der Kampfeslust des Genossen, Westerwelle putzt demonstrativ abschätzig seine Brille. Gelassen wirken die Regierungsfraktionen. Auch, weil Gabriel zuerst ein Lapsus unterläuft: Die berühmte Stunde der Opposition sei "keine wirkliche intellektuelle Herausforderung", provoziert er. "Deswegen darf es auch der SPD-Vorsitzende machen", höhnt ein Koalitionär zurück. Als Gabriel dann von Minute zu Minute heftiger attackiert und bitterböse frotzelt: "Wie konnte es dazu kommen, dass eine Regierung derart heruntergekommen ist?", erwachen Union und FDP mit wütenden Protestrufen, während die Opposition feixt. Sollte Merkel bis dahin noch leise Zweifel gehabt haben, so weiß sie jetzt: (Gegen-)Angriff ist in diesem Herbst die beste Verteidigung.

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