Im Dschungel der Steuerungerechtigkeit
Brüssel · Wer sich vom Auftritt des Luxemburger Ex-Premiers Jean-Claude Juncker im LuxLeaks-Ausschuss neue Einsichten erhoffte, wurde enttäuscht. Die politische Aufarbeitung der systematischen Bevorzugung von Konzernen gestaltet sich zäh.
Brüssel. Was lange währt, muss nicht gut werden: Nach vielen vergeblichen Anläufen ist EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Donnerstag im Sonderausschuss des Europaparlaments aufgetreten, der die sogenannte LuxLeaks-Affäre aufklären soll, also die lukrativen Steuerdeals für Großunternehmen im Großherzogtum, aber nicht nur dort. Viel hatten sich die Abgeordneten von einem Verhör des früheren Luxemburger Regierungschefs und Finanzministers versprochen. Der Erkenntniswert der Veranstaltung aber hielt sich in sehr engen Grenzen.
Eine politische Verantwortung für die Praxis in seinem Heimatland stritt Juncker rundheraus ab: "Ich habe in Luxemburg kein System der Steuerhinterziehung, der Steuerhintertreibung oder der Steuervermeidung zulasten anderer europäischer Staaten erfunden", behauptete der 60-Jährige: "Sie überschätzen meine Talente." Das Großherzogtum sei ein Rechtsstaat, die Steuerbehörden für die Umsetzung der Gesetze zuständig und "Luxemburger Beamte sehr allergisch gegen ministerielle Einflussnahme". Er habe sich, so Juncker weiter, auch nie mit Beratungsgesellschaften getroffen und sich die Steuerpolitik diktieren lassen.
Neben der eigenen Unschuld verbreitete der Kommissionschef vor allem eine Botschaft: Das "Unwort LuxLeaks" solle doch bitte aus dem politischen Abkürzungsvokabular gestrichen werden, da es nicht allein um den "Tatort Luxemburg" gehe, sondern um eine ganze Reihe von EU-Staaten. Nur eineinhalb Stunden waren für die Befragung angesetzt, die wegen eines kurzfristig angesetzten Votums zur Flüchtlingspolitik noch auf 75 Minuten reduziert wurde. Da Juncker und Steuerkommissar Pierre Moscovici zudem einführende Statements zustanden und der Kommissions chef wegen anderer Termine vorzeitig ging, erwiderte er in kaum 20 Minuten ganze acht Fragen.
Nachfragen waren ebenfalls nicht vorgesehen. Das war im Falle des Linken Fabio De Masi besonders bedauerlich. Der hatte von Juncker mehr darüber wissen wollen, warum im Bericht von Jeannot Krecké über Steuerbetrug in Luxemburg aus dem Jahr 1997 eine Seite fehle, die einer dortigen Journalistin zufolge in Junckers Besitz ist. Dessen Antwort beschränkte sich darauf, dass er eigens am Vortag von seinem ehemaligen Wirtschaftsminister versichert bekommen habe, dass eben dieser Krecké selbst von einer Veröffentlichung abgesehen habe, weil dies dem luxemburgischen Staat geschadet hätte. "Ich hätte Juncker gerne noch gefragt", ärgerte sich De Masi, "ob er denn nun über die Seite verfügt und warum er sie, wenn ja, nicht zur Verfügung stellt."
Heftige Kritik für Kuschelkurs
Die Regie der Befragung lag in der Hand des christdemokratischen Ausschussvorsitzenden Alain Lamassoure. Er hatte im Namen der großen Koalition seiner Europäischen Volkspartei mit den Sozialdemokraten, die Juncker ins Amt gewählt hat, von Anfang an ein "Tribunal" verhindern wollen. Nun organisierte er, wie mehrere Abgeordnete bestätigten, gegen deren erklärten Willen ein Kreuzverhör, das gar keines sein konnte.
Lamassoure erntete dafür auch heftige Kritik aus den eigenen Reihen. "Er möchte der nächste Präsident des Parlaments werden und fährt dafür einen Kuschelkurs", sagte der CDU-Mann Werner Langen. "Da wird alles unter den Teppich gekehrt." Zusammen mit Kollegen hatte er ursprünglich einen echten Untersuchungsausschuss gefordert.
Ob damit jedoch alle relevanten Akteure und alle beweiskräftigen Dokumente auf den Tisch gekommen wären, ist strittig. Tatsächlich hat der Ausschuss bisher erfolglos rund 500 Seiten Sitzungsprotokolle der sogenannten Code-of-Conduct-Gruppe verlangt. Das ist ein Gremium aller EU-Staaten, in dem sie gegenseitige steuerliche Verhaltensregeln aufstellen.
Dass Juncker versprach, den "Dschungel" der Steuerungerechtigkeit zu lichten, reicht dem Unionsabgeordneten Langen nicht. Seine "letzte Hoffnung" ist EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die derzeit nicht nur Fälle wie Apple, Amazon, Starbucks untersucht, sondern von allen Mitgliedstaaten Informationen über ihre Steuerdeals angefordert und gerade auch bekommen hat. Die nächste Chance auf Aufklärung bietet sich nächsten Mittwoch. Dann steht Finanzminister Wolfgang Schäuble auf der Gästeliste.