"Im Geiste bereits Industrie-Lobbyist"

BERLIN. Norbert Röttgens künftige Doppelrolle als Industrie-Lobbyist und CDU-Abgeordneter löst immer mehr Kritik aus.

Norbert Röttgen lässt keine Zweifel aufkommen: "Ich werde mein Bundestagsmandat bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2009 behalten." Er sei gegenüber seinen Wählern in der Pflicht. Schließlich habe er bei der letzten Bundestagswahl im Rhein-Sieg-Kreis ein Direktmandat errungen: "Ich glaube, das erwarten meine Wähler von mir." Ab 2007 neuer BDI-Hauptgeschäftsführer

Bis zum November werde er auch weiter Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag bleiben. Bei der dann planmäßig anstehenden Neuwahl der Fraktionsspitze wolle er allerdings nicht mehr antreten. Am Montag hatte der Bundesverband der deutschen Industrie bekannt gegeben, dass Röttgen ab 1. Januar 2007 als neuer Hauptgeschäftsführer des BDI an die Spitze des Verbandes wechseln wird. Er hat dort einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben. Und da der Rheinländer Röttgen (40) sein Abgeordnetenmandat behalten will, wird die deutsche Wirtschaft bis mindestens Herbst 2009 mit gleich zwei Spitzenfunktionären in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertreten sein: Norbert Röttgen und Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer des BDA. Inzwischen nimmt jedoch die Zahl der Kritiker zu, die sagen, Röttgen solle seine Parteifunktionen sofort niederlegen und auch sein Bundestagsmandat aufgeben. Schließlich sei er mit seiner BDI-Nominierung nicht mehr wirklich unabhängig, sondern "im Geiste bereits Industrie-Lobbyist". Immer lauter stichelt vor allem die Opposition. Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, macht sich Sorgen darüber, ob Röttgen als künftiger BDI-Hauptgeschäftsführer und Nachfolger von Ludolf von Wartenberg überhaupt noch Zeit für den Bundestag finden werde. FDP-Vize Cornelia Pieper warnt scharf vor Konflikten zwischen den Rollen: "Herr Röttgen sollte sich überlegen, ob es gut ist, vormittags als abhängiger Verbandsfunktionär aufzutreten und nachmittags als unabhängiger Abgeordneter im Parlament abzustimmen." "Eine Frage des politischen Geschmacks"

Noch heftiger fällt die Kritik aus den Reihen der SPD aus. Deren Abgeordneter Ernst Dieter Rossmann bemängelt: "Der nahtlose Tausch aus der Geschäftsführung der CDU in die Geschäftsführung der Unternehmensverbände zeigt eindeutig, welchen Interessen die CDU eins zu eins verpflichtet ist." Kritisch sieht das inzwischen auch Peter Ramsauer. Es sei "eine Frage des politischen Geschmacks", ob man im Falle eines derartigen Wechsels "auf den alten Baustellen als Polier oder zumindest als Handlanger noch tätig bleibt". Der Chef der CSU-Landesgruppe verweist zugleich auf den vormaligen bayerischen Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU), der mit dem Wechsel in den Vorstand der Deutschen Bahn AG auch sein Landtagsmandat aufgab. Ramsauer unzweideutig: "Wiesheus Verhalten ist in allen Punkten beispielhaft." Noch deutlicher wurde jetzt Olaf Henkel. Der angesehene frühere Präsident des BDI begrüßte Röttgens Verpflichtung als "Gewinn für den BDI" und sprach von einem "großen Verlust für die Politik". Henkel: "Aber Herr Röttgen muss sein Abgeordnetenbüro spätestens am Tag vor dem Beginn seiner Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer des BDI räumen." Eigentlich müsse man sogar erwarten, "dass er schon jetzt zumindest seinen herausgehobenen Posten in der Fraktion abgibt. Alles andere ist unvertretbar". Wirtschaftsverbände könnten sich nicht beklagen, dass Gewerkschaftsfunktionäre im Bundestag sitzen, wenn sie selbst solche Konstellationen zuließen. "Der BDI sollte da mit gutem Beispiel vorangehen." Zugleich verwies Henkel auf den Fall des CDU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Göhner. Dieser sei als Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) seit Jahren im Bundestag. "Göhner ist gleichzeitig das trojanische Pferd des BDA im Bundestag und für die CDU das trojanische Pferd im CDA. So etwas war für den BDI bisher nicht vorstellbar." Göhner selbst hatte in der Vergangenheit Kritik an seiner Doppelfunktion stets zurückgewiesen. Er hält an seinem Bundestagmandat weiter fest. Wie gestern aus dem Kanzleramt zu hören war, soll erst nach der Sommerpause entschieden werden, wer Nachfolger von Röttgen in der Fraktionsspitze wird.

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