Im Mittelmeer helfen die Retter den Flüchtlingen unter oft dramatischen Umständen

Catania · Tod und Leid im Mittelmeer sind Realität, auch wenn die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland und Rheinland-Pfalz kommen, deutlich gesunken ist. Diese Reportage gibt einen Einblick in das tägliche Grauen.

Wasser, Scheinwerfer, Geschrei. Mühsam hieven die Retter Menschen über die Bootskante. Ihre Helmkameras filmen mit. Der Körper einer Frau fällt klatschend in eine Rettungswanne. Tot. Kurz sieht man, dass sie hochschwanger ist. "Es ist besser sich das anzusehen, als blind zu bleiben", sagt Alessio Morelli, Kommandant der Dattilo, eines Schiffs der Küstenwache in Catania/Sizilien.

Immer mehr Tote

Morelli ist solche Bilder gewöhnt. Er macht seit über zehn Jahren fast nichts anderes. Flüchtlinge retten, Schlepper aufgreifen, Grenzen sichern. Tote zählen. Immer mehr Tote. Ein Pier weiter liegt riesengroß und orangefarben die Siem Pilot, ursprünglich ein Versorgungsschiff für Bohrinseln in der Nordsee, 88 Meter lang. Jetzt Norwegens Beitrag zu Frontex, der EU-Grenzsicherungsagentur. 1100 Menschen können gleichzeitig auf dem Deck lagern, die Areale "Women" und "Men" sind mit Inschriften auf den Planken säuberlich getrennt.

In der Ecke stapeln sich Rettungswesten, Wasserflaschen, Spielzeug, ein paar Fußbälle. Direkt neben den Abtritten steht ein kleiner weißer Container, der Zugang ist gegen Blicke abgeschirmt. Er ist für die Leichen. 91 Tote fischte die Siem Pilot bisher aus dem Meer. "Wie soll ich es ausdrücken?", zögert Kommandant Erik Teigen. "Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt hier". Der 50-Jährige hält sich emotional daran fest, dass allein sein Schiff schon 28.590 Menschen gerettet hat. Teigen war vor einem Jahr noch normaler Polizist in einer Kleinstadt bei Oslo. Dann meldete er sich für diesen Hilfseinsatz. "Wofür wir das machen? Für das hier", sagt er - und zeigt das Bild zweier strahlender afrikanischen Kleinkinder auf seinem Schiffsdeck. Alle hier sind verdammt stolz auf das, was sie da tun. Kürzlich wurde auf der Siem Pilot ein Baby geboren, Elia. Auch davon haben sie ein Foto.

Die Schiffe sind Teil einer ganzen Armada, die die neue Füchtlings-Hauptroute absucht. Frontex ist mit sechs Großschiffen dabei, dazu die italienische Küstenwache, die EU-Militäroperation Sophia und Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen mit eigenen Booten. Die Registrierung und Versorgung der Geretteten funktioniert inzwischen reibungslos. Kein Vergleich zu Griechenland vor einem Jahr. Die Italiener haben vier Hotspots eingerichtet, für die Erstaufnahme.

Man könnte von einer eingespielten Rettungs-Routine sprechen, wenn da nicht zwei Probleme wären - neben den geschätzt 3500 Ertrunkenen allein in diesem Jahr. Das erste: Der Zustrom auf der Mittelmeerroute schwillt immer mehr an. 160.000 sind es schon 2016, fast 13 Prozent mehr als voriges Jahr. Und die Schlauchboote sind von immer schlechterer Qualität. Das Material ist dünn, es gibt oft nur eine Luftkammer. Die Schlepper stopfen nun 150 bis 170 Menschen hinein statt früher 100. Ein Teil der Passagiere muss auf der runden Bootswand sitzen, wer herunterfällt, ist tot. Das Geschäft wird immer skrupelloser und gewalttätiger. Es ist Russisch-Roulette.

Noch nie hat ein Schlauchboot die italienische Küste erreicht. Die Schlepper setzen auf die Retter. Manchmal drücken sie einem Flüchtling ein Satellitentelefon in die Hand, um SOS zu senden. Aber das Seegebiet ist so groß wie Deutschland. Nicht selten kommen die Helfer zu spät. Einmal, erzählt Teigen, fand man nachts im Meer zwei Frauen, die sich an einer treibenden Leiche festhielten.
Wenn ein Staat wie Libyen Schiffbrüchigen nicht hilft, muss es der nächste tun, sagt das internationale Seerecht. Italien hält sich daran. Und derjenige Schengen-Staat, in dem Flüchtlinge zuerst Asyl beantragen, muss sie versorgen. Das sagt das Dublin-Abkommen. Auch daran hält sich Italien. Aber kein anderes EU-Mitgliedsland erfüllt die Abmachung, Italien und Griechenland 160.000 Flüchtlinge abzunehmen, wie 2015 beschlossen wurde.

Ganze 7000 sind bisher legal umgesiedelt worden. Der Zustrom wächst und fließt nicht mehr ab, das ist das zweite Problem. Die Osteuropäer verweigern sich komplett. Auch Deutschland hat bisher nur 400 Personen abgenommen - von vereinbarten 27.320. Schon werden die Hilferufe und Appelle Roms dringlicher. Auch die Drohungen.

"Here no good"

Kader, 22, aus Zentralafrika, wohnt seit einigen Monaten in einem Lager bei Mineo im sizilianischen Binnenland -zusammen mit 3000 anderen. Er will weg hier, vielleicht nach Mailand. Als Fahrer arbeiten, das wäre was. "Ich mag Autos". Auch Frank, 19, aus Kamerun, der gerne Fußballer werden möchte, will nicht auf Sizilien bleiben. "Here no good", sagen sie. Es sind zwei ganz normale, eher fröhliche Jungs. Am Abend wollen sie Deutschland gegen Italien gucken, ein bisschen Abwechslung.

Ein Stacheldrahtzaun grenzt das Lager ab. Draußen patroulliert Militär. Es ist Dienstag, ein Tag wie jeder andere auf Sizilien. Nur, dass das Wetter so schlecht ist. Die Siem Pilot und die Dattilo warten im Hafen von Catania auf den nächsten Einsatz. In der Ferne grollen Gewitter. Am Morgen geht bei der EU-Vertretung in Catania die Information ein, dass die Küstenwache in der Nacht auf dem Meer ein kaputtes Schlauchboot gefunden hat. Leer.

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