Im Namen der Freiheit

Krieg! Ein Wort wie Pest und Cholera. Es verheißt Tod, Verderben, unendliches Leid. Grausames Abschlachten. Schreckliche Not. Warum? Weil genug geredet, weil alles gesagt ist? Weil die Diplomatie versagt hat, weil es nun keine Alternative mehr gibt, als die Politik mit anderen Mitteln fortzusetzen? Nein. Weil einer, dessen Finger seit langem am Abzug zuckte, die Geduld verloren hat - und losballert. Es ist gekommen wie in einem Hollywood-Western: Zwei vermeintlich coole Cowboys geraten aneinander und verabreden ein Duell auf der Straße vor demSaloon. Showdown. Schüsse fallen. Der Gute siegt, röchelnd windet sich der Böse im Staub. Es gilt das Gesetz des Stärkeren. Und der einsame Held reitet der untergehenden Sonne entgegen. So einfach ist die Welt. So einfach legt George W. Bush sich die Welt zurecht. Fein säuberlich geteilt in Gute und Böse. Der tief religiöse Texaner glaubt, er sei der auserwählte Gutmensch. Sein Auftrag: die Erde von ihren übelsten Schurken zu befreien, allen voran Saddam Hussein. Tatsächlich aber ist die Lage hoch kompliziert, und die weitaus meisten Menschen sind ganz und gar nicht einverstanden mit dem Alleingang der USA und ihres Präsidenten. Der handelt, als sei er niemandem Rechenschaft schuldig, er nimmt auf niemanden Rücksicht - und outet sich mithin als demokratischer Diktator, der anderen seinen Willen aufzwingt, sich um das Völkerrecht nicht schert. Ist es Arroganz, ist es Hybris, was die Vereinigten Staaten treibt, ihre militärisch, wirtschaftlich und kulturell ohnehin globaleDominanz in Allmachts-Phantasien zu steigern, die Unbehagen auslösen? Die bewährten Freundschaftpakte mit dem alten Europa, die zarten Bande, die mit Russland geflochten sind, aufs Spiel zu setzen? Und ist es Zufall, dass an der Seite der USA vor allem die beiden alten Kolonialmächte England und Spanien stehen - dräut da eine neue Abart des Imperialismus? Das große Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden. So beschrieb Bertolt Brecht den Niedergang des antiken Reichs im nördlichen Afrika, das sich - trotz des zeitweilig genial agierenden Feldherrn Hannibal - an der Weltmacht Rom aufrieb. Das Karthago der Gegenwart heißt Bagdad, die Weltmacht USA. Saddam Hussein, ein ebenso skrupelloser wie gerissener Taktiker, hat zwei Kriege angezettelt, den dritten, der nun wohl in voller Brutalität losbricht, zumindest provoziert. Sein Land war einst mächtig, dann immerhin noch bewohnbar - ist es bald nicht mehr aufzufinden? In den 80er Jahren führte der Diktator aus Bagdad einen verlustreichen Krieg gegen den Nachbarn Iran - wohlwollend unterstützt und waffentechnisch aufgepäppelt von westlichen Staaten, vor allem den USA, denen das Modell des persischen Gottesstaates nicht behagte. Das jahrelange blutige Gemetzel endete unentschieden, Saddam blieb mächtig. Nach dem Überfall auf Kuwait, das er Irak als Provinz einzuverleiben gedachte, sah sich der Tyrann im Jahr 1991 einer breiten Allianz gegenüber. Mit brachialer Wucht fegte der Wüstensturm über den Golfstaat hinweg. Der Irak war schwer getroffen, aber noch bewohnbar. Ob das Land zwischen Euphrat und Tigris nach dem zu erwartenden Bombardement "nicht mehr aufzufinden" sein wird, bleibt vorläufig offen. Sicher ist, dass Kriegsherr George W. Bush nicht eher ruht, bis er seinen Erzfeind verjagt hat. Der wiederum scheint wild entschlossen, seine Truppen bis zum letzten Mann, bis zur letzten Patrone in aussichtslosen Kämpfen zu verheizen - und vielleicht jenes Giftgas einzusetzen, das er angeblich versteckt, oder jene "schmutzige" Atombombe, an der seine Wissenschaftler womöglich gebastelt haben. Am liebsten würde Saddam gleich den dritten Weltkrieg entfachen. Es gehe nicht darum, den Irak zu vernichten, betont Bush immer wieder. Sondern darum, den Irak zu befreien. Das gelingt nur, wenn der Krieg schnell endet und möglichst wenige zivile Opfer fordert. Nur dann hätte Bush in den Geschichtsbüchern vielleicht Anspruch auf einen Platz als "Befreier". Ansonsten droht ein Flächenbrand, und die Stimmung der "Befreiten" dürfte rasch umschlagen in blanken Hass. Wenn Bush sein Ziel erreicht, darf auch die zuvor gedemütigte Uno wieder ran - als hilfreicher Assistent der USA bei der Befriedung des Nahen Ostens. Als letzte Instanz für Krieg oder Frieden jedoch hat die einst als künftige "Weltregierung" gegründete Völkergemeinschaft ausgedient. Der amerikanische Präsident geht so oder so ein hohes Risiko ein: Die neue Weltordnung, von der er träumt, kann nur funktionieren, wenn sie von allen Staaten getragen wird - und nicht, wenn eine Hypermacht dem Rest vorschreibt, wo es langgeht. p.reinhart@volksfreund.de

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