Immer weniger Deutsch in Brüssel

Brüssel/Berlin · Englisch rein, Deutsch raus, so lässt sich die aktuelle Tendenz bei der Übersetzung von Dokumenten der EU-Kommission in Brüssel zusammenfassen. Im Bundestag ist man stinksauer über die Entwicklung.

Brüssel/Berlin. Schon seit Jahren sind fehlende Deutsch-Übersetzungen ein Ärgernis, doch wenn die jüngste Personalplanung der EU-Kommission umgesetzt wird, wird alles noch viel schlimmer. Laut dem neuesten Bericht des Brüsseler Verbindungsbüros des Bundestages, der unserer Zeitung vorliegt, will die Kommission bei allgemeinen Personaleinsparungen in den nächsten fünf Jahren 22 der 110 Übersetzerstellen in der deutschen Abteilung der Generaldirektion abbauen. Die bisher etwa gleich große englische Abteilung soll hingegen um 14 Stellen verstärkt werden. Der Abbau bei den deutschen Übersetzern geht mit einem Minus von 20 Prozent weit über die allgemeine Vorgabe von Minus fünf Prozent in allen Bereichen hin-aus. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), nannte die Pläne gegenüber unserer Zeitung "unverschämt". Er erinnerte daran, dass der Bundestag erst im Sommer gefordert hatte, die deutschen Übersetzerleistungen mittelfristig deutlich zu steigern. Die Bundesregierung war in Brüssel auch vorstellig geworden, zuletzt bei den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU Ende November. "Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber einem nationalen Parlament, wenn die Kommission mitten in laufenden Verhandlungen jetzt genau gegenteilige Fakten schafft", sagte Krichbaum.
Auch Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) protestierte am Dienstag in der Unions-Fraktionssitzung hinter verschlossenen Türen gegen die Kürzungen und bat Kanzlerin Angela Merkel dem Vernehmen nach, das Thema in Brüssel noch einmal selbst vorzubringen.
Alarmierender Vermerk


Deutsch ist neben Englisch und Französisch offiziell eine der drei Verfahrenssprachen der EU. Das bedeutet, dass alle Vorlagen in diese drei Sprachen übersetzt werden müssen. "Dies wurde jedoch in den letzten Jahren immer weniger gewährleistet und könnte mit der angestrebten Kürzung noch fraglicher werden", heißt es im Vermerk des Brüsseler Verbindungsbüros des Bundestages. Zwar werde Brüssel Engpässe wohl mit Freiberuflern ausgleichen wollen, jedoch stelle sich hierbei die Frage "der Qualität und der Zuverlässigkeit einer solchen Übersetzungspolitik".
Nach Informationen unserer Zeitung sind in dieser Legislaturperiode bereits weit über 100 EU-Vorlagen gleich wieder nach Brüssel zurückgeschickt worden, weil die Ausschüsse sie wegen fehlender oder unzureichender Übersetzung nicht beraten konnten. Von dem Problem besonders betroffen sind der Innen-, der Finanz-, der Haushalts-, der Wirtschafts- und der Verteidigungsausschuss des Bundestages.
Union und FDP beklagen überdies, dass zunehmend auch Dokumente, die wichtig sind für die Krisenbewältigung in der EuroZone, nicht übersetzt werden. Zuletzt mussten sich die Abgeordneten mit einem über 500 Seiten starken Troika-Bericht zu Griechenland herumschlagen - in Englisch.
Selbst kann der Bundestag Übersetzungen nicht immer übernehmen, weil die Dokumente in vielen Fällen durch Brüssel autorisiert sein müssen. Der Sprachenstreit tobt seit Jahren. 2008 gab es eine öffentliche Petition von 18 deutschsprachigen Regionalregierungen, darunter Hessen, Bayern, das Saarland, Kärnten, Tirol und Bozen, die eine stärkere Verwendung ihrer Sprache in den europäischen Institutionen forderten. Immerhin, so die damalige wie heutige Begründung aller Proteste, ist keine Sprache in Europa verbreiteter: Für rund 100 Millionen EU-Bürger ist Deutsch die Muttersprache. Wenn auch nicht immer Hochdeutsch.

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