In Gewissens-Nöten

Eigentlichist der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel Respekt zu zollen.Unbeirrt stemmt sie sich gegen den Mainstream und hält Stellungin stürmischer Zeit. Gegen die überwältigende Mehrheit derVölker, der Deutschen, der Kirchen und der Christdemokraten hatsie Partei ergriffen für "unsere amerikanischen Freunde", dieSupermacht USA. Ob sie den Krieg für richtig, falsch odervölkerrechtswidrig hält, sagt sie allerdings nur verklausuliert.Deshalb hat sie nun ein Problem - und mit ihr die gesamte Union.Merkels Position ist für die meisten Bürger nichtnachvollziehbar. Das liegt nicht nur am Antikriegs-Reflex derMenschen, sondern auch an der schwer erklärbarenWechsel-Strategie der Amerikaner, die von der Unionsspitze trotzBedenken akzeptiert worden ist. Merkel hat sich damit, und mitihr die sie stützende Fraktion, von ihrer Basis entfernt und inder Bevölkerung isoliert. Ihr Standpunkt, der auch im Hinblickauf völkerrechtsbejahende und moralische Prinzipien nicht freivon Widersprüchen ist, hat die christlich geprägte Union inschwere Gewissensnöte gestürzt. Aus dem Kontext der Ereignisseund ihrer Konsequenzen leitet sich die Frage ab, ob eineVorsitzende noch für eine Partei sprechen kann, deren Auffassungsie in einem zentralen Punkt nicht teilt. Natürlich sei dasmöglich, heißt es in der Union, schließlich beruhe dasDemokratie-Verständnis des "alten Europa" auch auf freierMeinungsäußerung ohne Anpassungszwang. Das ist richtig, doch eineFührungsperson steht zumindest unter Begründungszwang - dem sieaber auszuweichen versucht. Bis heute hat Merkel Fragen, die auchund gerade Christdemokraten auf der Seele brennen, nichtbeantwortet: Glaubt sie wirklich, dass die USA aus einerNotwehr-Situation heraus gehandelt haben? Rechtfertigt dieMissachtung von UN-Resolutionen die Bombardierung eines Landes?Ist es moralisch vertretbar, dem unbestreitbaren Interesse dertransatlantischen Partnerschaft die Akzeptanz eines höchstumstrittenen Krieges unterzuordnen? Gewiss stand die Union voreinem Dilemma, als Bush den Kriegsbefehl gab: Eine Distanzierungvon den USA hätte nicht nur die alte Freundschaft mit denAmerikanern, auf die CDU und CSU so stolz sind, nachhaltigbeschädigt; die Opposition hätte sich auch den Vorwurf gefallenlassen müssen, nachträglich auf jene rot-grüne Regierungslinieeingeschwenkt zu sein, die sie vorher bekämpft hatte. DerErklärungsnotstand wäre ähnlich groß gewesen. Im Interesse derGlaubwürdigkeit bleibt Angela Merkel also nichts übrig, alsdurchzustarten. Und der Fraktion nichts anderes, als ihrebedrängte Frontfrau zu stützen. Wenn die Vorsitzende Glück hatund die schrecklichen Bombenbilder von Bagdad womöglich baldBildern von Befreiern weichen, die von jubelnden Irakis begrüßtwerden, könnte die Stimmung kippen. Davon würde auch Merkelprofitieren, weil eine erleichterte Union ihr dann "Weitsicht undStandfestigkeit" attestieren würde. Endet der Waffengang am Golfaber nach langem Gemetzelin einer humanitären Katastrophe, könnteauch die CDU-Vorsitzende zu den Verlierern dieses Krieges zählen. nachrichten@volksfreund.de

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