Interview: Grüne halten Kameras mit automatischer Gesichtserkennung für bedenklich

Berlin · Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist mit seinen aktuellen Vorschlägen zur inneren Sicherheit in die Kritik geraten So hält die Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic, nichts davon, eine Gesichtserkennungssoftware an Flughäfen und Bahnhöfen einzusetzen. Auch hält sie dem Minister Aktionismus vor.

Für das von de Maizière (CDU) ebenfalls geforderte Rucksackverbot bei Großveranstaltungen müsse man kein Gesetz machen, so die Grüne. Mit der Politikerin sprach unser Berliner Korrespondent Hagen Strauß.

Der Innenminister bringt die automatische Gesichtserkennung an Flughäfen und Bahnhöfen ins Spiel. Was halten Sie davon?
Mihalic: Das ist keine neue Idee. Auch nach der Berliner Erklärung der Unionsinnenminister tut de Maizière so, als ob die Überwachung das Allheilmittel gegen die Sicherheitsprobleme im Land wäre. Das lenkt wieder davon ab, dass wir tatsächlich in der inneren Sicherheit einige gravierende Defizite haben, die eben nicht angegangen werden.

Welche meinen Sie?
Mihalic: Ich meine zum Beispiel die erheblichen Kommunikationsprobleme unter den Sicherheitsbehörden. Der Befund gilt nicht nur für die internationale Ebene, sondern auch national. Wenn man polizeiliche Erkenntnisse zwischen Schleswig-Holstein und Bayern austauschen will, stoßen die Behörden schon an ihre Grenzen. Das muss sich ändern. Außerdem brauchen wir Verschärfungen im Waffenrecht, mit denen der Online-Handel stärker reglementiert und kontrolliert wird. Das sind reale Probleme, die angepackt werden müssen.

Aber eine Gesichtserkennung wäre eine sehr konkrete Maßnahme - und Konkretes erwarten die Bürger doch.
Mihalic: Vielleicht vermittelt eine solche Maßnahme ein Gefühl von Sicherheit, aber sie schafft sie nicht. Es mangelt den Behörden nicht an den technischen Möglichkeiten. Auch nicht daran, dass wir hierzulande zu wenig überwachen. Hier werden nicht die richtigen Maßnahmen zur Terrorabwehr vorgeschlagen. Und übrigens: Wir fordern schon lange mehr Polizei. Die Unionsminister, die dies nun auch in ihre Berliner Erklärung geschrieben haben, sind allesamt in Regierungsverantwortung. Sie hätten ihr Vorhaben längst umsetzen können.

Wie schätzen Sie die Gesichtserkennung datenschutzrechtlich ein?
Mihalic: Als hochproblematisch. Die Nutzung einer solchen Erkennungssoftware ist aus datenschutzrechtlichen Gründen bereits Einschränkungen unterworfen. Für den Staat gilt dies ganz besonders. Denn es geht um gravierende Grundrechtseingriffe.

De Maizière plädiert auch für ein Rucksackverbot bei Großveranstaltungen. Ist das notwendig?
Mihalic: Das ist eine Maßnahme, die die Sicherheitsbehörden für Veranstaltungen längst anordnen können. Sie obliegt der Einschätzung der Polizei und den Behörden vor Ort. Dafür müssen wir im Bundestag kein Gesetz verabschieden. Auch das ist wieder absolute Symbolpolitik des Innenministers.Extra

Unter dem Eindruck der wachsenden Bedrohung durch islamistische Gewalttäter haben Innenpolitiker der Union Vorschläge für mehr Sicherheit gemacht.
Ein Überblick:
Mehr Polizei: Die Unions-Innenminister wollen in Bund und Ländern bis 2020 insgesamt 15 000 zusätzliche Polizisten. Die SPD spricht von 12 000 Stellen bis 2019.
Mehr Videoüberwachung: An Verkehrsknotenpunkten, bestimmten Plätzen und im öffentlichen Personennahverkehr sollen mehr Kameras installiert werden.
Ausstattung: Polizisten sollen besser mit Schusswaffen, Schutzwesten und Helmen ausgerüstet werden. Gesichtserkennung: An Bahnhöfen und Flughäfen soll eine Software automatisch die Gesichter von Verdächtigen erkennen und Alarm schlagen.
Schnellere Abschiebungen: Sicherheitsrelevant ist diese Maßnahme, bei der auch die SPD mitzieht, vor allem, wenn es um die Abschiebung von Menschen geht, die Straftaten begangen haben.
Ausweisung ausländischer Hass prediger: Dieses Mittel soll gegen die Radikalisierung von Muslimen in Deutschland helfen.
Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung: Die Daten sollen künftig länger aufbewahrt werden.
Rucksackverbot: Bei bestimmten Großveranstaltungen sollen Besucher mit Rucksäcken nicht mehr auf das Gelände gelassen werden, da sich darin Waffen oder Sprengstoff verbergen könnten. Ein Problem dabei: Fast alle Besucher mehrtägiger Musikfestivals reisen mit Rucksäcken an. dpa

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