"Janukowitsch muss seine Dekrete zurücknehmen" - TV-Interview: Mit Unions-Fraktionsvize Schockenhoff

Berlin · Andreas Schockenhoff hat schon als Russland-Beauftragter der Bundesregierung die Politik Moskaus scharf kritisiert. Jetzt, nach dem Tod von Demonstranten in Kiew, dehnt der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende das auch auf die Regierung um Präsident Janukowitsch aus und fordert EU-Sanktionen.

Berlin. Nach Meinung von Unions-Fraktionsvizechef Andreas Schockenhoff muss die EU gegen das Regime in Kiew Sanktionen verhängen. Allerdings sollte die europäische Hand ausgestreckt bleiben, erläutert der 56-Jährige im Gespräch mit unserem Korrespondenten Werner Kolhoff.

Es gibt die ersten Toten in Kiew. Fürchten Sie eine weitere Eskalation?
Andreas Schockenhoff: Die muss man auf jeden Fall befürchten. Deswegen appellieren wir an alle Beteiligten, an die Sicherheitskräfte wie an die Demonstranten, auf Gewalt zu verzichten. Die Hauptverantwortung liegt bei Präsident Janukowitsch, der die Situation mit den von ihm in der letzten Woche unterschriebenen Dekreten gegen die Demonstrationsfreiheit deutlich eskaliert hat. Diese Dekrete müssen zurückgenommen werden.

Vitali Klitschko sagt, er habe keine Kontrolle mehr über die Opposition. Kommt auch von dort Gewalt?
Schockenhoff: Je länger sich Janukowitsch weigert, mit der Opposition zu sprechen, desto mehr melden sich natürlich auch Kräfte, die nicht mehr an eine friedliche Lösung im Wege eines Runden Tisches glauben. Und dann wächst natürlich die Gefahr, dass radikale Kräfte das Geschehen außer Kontrolle geraten lassen. Aber noch einmal: Die Verantwortung dafür liegt beim Präsidenten.

Steckt Russland als treibende Kraft hinter der harten Linie?
Schockenhoff: Es hat jedenfalls zu der Lage beigetragen, indem es Janukowitsch erpresst hat, das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Das ist ein altes Denken, das alte Spiel um Einflusssphären und Macht. Dieses Spiel bietet der Ukraine keine Perspektive. Letztlich übrigens auch Russland nicht. Im 21. Jahrhundert gewinnen wir Zukunft in Europa alle miteinander nur durch Zusammenarbeit. Früher sprach Präsident Putin mal von einer Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon. Er sollte an diese Visionen wieder anknüpfen, und die Europäer sollten ihn daran erinnern.

Hat die EU den Konflikt bisher zu wenig ernst genommen?
Schockenhoff: Nein, aber man hat zu lange eine Schaukelpolitik der Regierung Janukowitsch zwischen Brüssel und Moskau zugelassen. Und man hat vielleicht unterschätzt, dass Moskau die von den Menschen in der Ukraine gewünschte Annäherung an die EU so knallhart unterbinden würde.

Was können Deutschland und die EU jetzt tun, um die Lage zu deeskalieren?
Schockenhoff: Zum einen muss das Angebot eines Assoziierungsabkommens an Kiew aufrechterhalten bleiben. Dazu gehört auch der Hinweis, dass nach den Europäischen Verträgen jedes europäische Land die Möglichkeit hat, irgendwann einen Mitgliedsantrag zur EU zu stellen. Diese Perspektive stellt sich für die Ukraine zwar nicht in den nächsten 20 Jahren, aber man darf sie auch nicht ausschließen. Man muss zudem schon jetzt konkrete Projekte benennen, die der Bevölkerung in der Ukraine zeigen, dass sie Vorteile aus einer Öffnung des Landes zu Europa hat.

Und zum anderen?
Schockenhoff: Zum anderen sollte die EU dem Regime in Kiew mit persönlichen Konsequenzen drohen, wenn es den Weg der Gewalt und der Einschränkung der Demonstrationsfreiheit weitergeht. Das reicht von Reisebeschränkungen für einzelne Verantwortliche bis zum Einfrieren von Konten. Das muss aber immer an das Angebot einer engeren Zusammenarbeit gekoppelt sein, für den Fall, dass man bereit ist, sich auf einen Dialog und eine Verständigung mit der Opposition einzulassen. wkExtra

Die Opposition in der Ukraine ist zersplittert in mehrere Strömungen: Parlamentarische Opposition: Die Opposition ist im Parlament mit drei Fraktionen und einigen fraktionslosen Abgeordneten vertreten. Julia Timoschenkos Vaterlandspartei (Batkiwschtschina), Vitali Klitschkos Udar (Schlag) und die rechtspopulistische Swoboda (Freiheit) haben 168 von 450 Abgeordneten. Euromaidan: Das ist der Name für die gesamte Protestbewegung auf dem Maidan - dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Die Demonstranten stehen symbolhaft für die friedliche Natur des Protests. Sie eint das Ziel einer Annäherung an die EU. Ihr Protestlager war am 30. November von den Sondereinheiten der Berkut (Steinadler) brutal geräumt worden. Viele harren aber weiter auf dem Platz aus. Rechter Sektor: Der rechtsextreme Flügel der Protestbewegung beteiligte sich seit Beginn an den Demonstrationen und suchte demonstrativ den Konflikt mit der Staatsmacht. Er bildet den harten, gewaltbereiten Kern der so bezeichneten Selbstverteidigungskräfte des Maidan. Die etwa 500 Mitglieder vertreten eine antirussische und nationalistische Ideologie. dpaExtra

Andreas Schockenhoff (56, Foto: dpa) ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Bei der Bundestagswahl 2013 wurde der CDU-Politiker zum siebten Mal in Folge über ein Direktmandat für den Wahlkreis Ravensburg ins Parlament gewählt. red

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