"Jetzt stecken wir wieder im Schlamassel"

BERLIN. Die Vorsitzende des Agrar- und Verbraucherschutzausschusses des Bundestages, Ulrike Höfken (Grüne), glaubt, dass sich Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) beim jüngsten Fleischskandal aus der Verantwortung stehlen will. Seehofer könne "nicht einfach die Aufgabe der Koordination bei den Lebensmittelkontrollen von sich weisen", so Höfken im Gespräch mit unserer Zeitung.

Frau Höfken, wieder gibt es einen Gammelfleischskandal. Haben die Behörden aus den vergangenen Lebensmittelskandalen nichts gelernt?Höfken: Die Situation ist immer wieder gleich: In einem Bundesland passiert ein Skandal, andere Länder werden erfasst, und es folgen EU-weite Auswirkungen. Das Ganze endet in einem Koordinationsdesaster. Das erleben wir bei diesem Skandal erneut. Ich kritisiere vehement, dass bei der Föderalismusreform nicht die Möglichkeit wahrgenommen wurde, endlich klare Zuständigkeiten bei der Koordination der Kontrollen zu schaffen. Jetzt stecken wir wieder im Schlamassel, weil sich alle Seiten aus der Verantwortung stehlen wollen. Es ist Aufgabe von Minister Seehofer, hier Änderungen herbeizuführen. Der Minister sagt, die Länder sind schuld. Höfken: Grundsätzlich haben die Länder natürlich bei den Lebensmittelkontrollen die Vollzugspflicht. Aber: Minister Seehofer macht sich einen schlanken Fuß. Er kann nicht einfach die Aufgabe der Koordination bei den Kontrollen von sich weisen. Schuldzuweisungen an die Länder sind immer schön, aber auch bei diesem Skandal gibt es Verantwortlichkeiten des Bundes. Schließlich sind die Auswirkungen bundesweit. Was kann man gegen die Verursacher tun?Höfken: Seehofers zweites Versäumnis ist ganz klar das Verbraucherinformationsgesetz. Das Gesetz ist eine verpasste Chance. Wenn man schwarze Schafe packen will, geht das am besten über schonungslose Information und Aufklärung der Verbraucher und der Medien. Dazu muss aber aus dem Gesetz die Möglichkeit der Unternehmen verschwinden, sich hinter Pseudo-"Betriebsgeheimnissen" zu verstecken. Die Länder müssen dieses Defizit dringend noch beheben. Seehofers Gesetz ist am 22. September im Bundesrat. Härtere Strafen zur Abschreckung wären auch eine Möglichkeit.Höfken: Wir können darüber reden, die Strafen zu verschärfen. Jeder Verursacher eines Skandals kann heute die Strafe locker bezahlen und ansonsten die Gewinne einstreichen, die er durch seine üble Praxis erzielt. Die härteste Strafe ist für mich aber die schonungslose Information von Kunden und Verbrauchern. Der Minister beklagt, dass es zu wenige Kontrollen gibt. Teilen Sie diese Einschätzung?Höfken: In der Tat, die Kontrolldichte ist zu gering. Aber auch die Mängel bei der Art der Kontrollen sind immer noch nicht behoben. Welche Länder zeichnen sich durch besondere Fahrlässigkeit aus?Höfken: Es ist bemerkenswert, dass der Skandal schon wieder in Bayern stattfindet. Aber auch Rheinland-Pfalz ist im Bereich der Lebensmittelkontrollen keine Leuchte. Andere Länder wie Mecklenburg-Vorpommern zeichnen sich dadurch aus, dass sie unabhängige Verbraucherberatungen derart unterfinanzieren, dass die Verbraucherzentralen Insolvenz anmelden mussten. Es gibt also noch viel zu tun. d Das Interview führte unser Korrespondent Hagen Strauß.

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