Joschka soll fallen

BERLIN. Die so genannteVisa-Affäre erreicht nun auch Außenminister Joschka Fischer. Doch auch Unionsleute hatten eine laxere Einreise-Praxis gefordert - und damit genau das, was die Opposition Rot-Grün mittlerweile vorwirft.

Normalerweise interessieren sich nur persönliche Bekannte für Ludger Volmer. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt gehört zu jener Sorte Politiker, deren Unauffälligkeit den ungestörten Gang durch Fußgängerzonen ermöglicht. Die Opposition im Bundestag hat selbst nach Einsetzung des Visa-Untersuchungsausschusses, der durch den so genannten Volmer-Erlass begründet ist, kein wirkliches Interesse an dem Grünen. Der Union geht es vielmehr um dessen Ex-Chef, den prominenten Außenminister Joschka Fischer. Der beliebteste Politiker Deutschlands soll vom Sockel gestoßen werden. Nachdem die Union im Bunde mit Teilen der konservativen Presse seit Wochen versucht, die Vorgänge um die großzügige Visa-Erteilung vor allem in der deutschen Botschaft in Kiew (Ukraine) zu skandalisieren, nehmen die Ungereimtheiten nun tatsächlich zu. Am Freitag wurden Medienberichte transportiert, wonach Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bereits zwei Tage nach Vorstellung des Volmer-Erlasses (bei der Visa-Erteilung sollte "im Zweifel für die Reisefreiheit" entschieden werden) bei Außenminister Fischer gegen diese Praxis protestierte. Zum besseren Verständnis: Bereits seit Mitte der 90er Jahre (Regierung Kohl/Kinkel) wurde damit begonnen, die Einreise-Bestimmungen nach Deutschland zu lockern. Ein Grund dafür war der starke Andrang von Menschen aus Osteuropa, die bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion abgeschieden hinter dem "eisernen Vorhang" leben mussten. Trotz ersten Missbrauchsverdachts - auch viele Kriminelle und Prostituierte sollen so nach Deutschland geschleust worden sein - wurde vom außwärtigen Amt ohne Rücksprache mit dem Innenministerium "im Zweifel für die Reisefreiheit" entschieden. Am 14. März 2000 kam es darüber zu einem Gespräch zwischen Schily und Fischer, bei dem angeblich "Einvernehmen" erzielt wurde. "Der Spiegel" schrieb aber schon damals von einem "heftigen Koalitionsstreit" und zitierte einen "Vertrauten" des Kanzlers mit den Worten: "Ein brandgefährliches Thema. Da kann uns die Opposition nach Belieben in die Enge treiben." Dass es zu erheblichem Missbrauch der Regelung gekommen ist, wird mittlerweile auch nicht mehr von Rot-Grün bestritten. Ob sich der Fall Volmer/Fischer indes politisch so ausschlachten lässt, wie die Opposition dies erhofft, scheint fraglich. Denn zahlreiche Unionspolitiker haben in den vergangenen Jahren selbst versucht, das Außenamt zu einer großzügigeren Visa-Vergabe zu drängen. Die "Frankfurter Rundschau" zitierte am Freitag aus entsprechenden Briefen der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hans Peter Repnik und Johannes Singhammer. Ähnliche Schreiben sollen von den Unionsabgeordneten Hartmut Koschyk und Kurt Dieter Grill existieren. Singhammer reagierte darauf mit dem Hinweis, dabei habe es sich um "humanitäre Einzelfälle" gehandelt.

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