Jugendgewalt auf dem Vormarsch

BERLIN. Schlägereien auf dem Schulhof, bewaffnete Jugendbanden, die ihre Mitschüler bedrohen und "abziehen", Randale in Bahnhöfen und Vororten: Die Zahl der gewaltbereiten Jugendlichen nimmt zu.

Beispiel Hamburg: Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden von Jugendlichen zehn Prozent mehr schwere Körperverletzungen begangen - über 2000 Täter verzeichnete die Hansestadt letztes Jahr. "Es ist ein bundesweiter Trend", sagen Sicherheitsexperten. Die Statistiken des Bundeskriminalamtes sprechen eine andere Sprache: Seit Ende der 90er-Jahre liegt die Zahl jugendlicher Tatverdächtiger konstant bei um die 290 000. Aber das BKA erfasst nicht die Dunkelziffer. Und die wachsende Gewaltbereitschaft wird weder von Politik noch Wissenschaft bestritten. Die Innenministerkonferenz der Länder soll sich in der kommenden Woche mit dem Phänomen befassen. Geplant ist zunächst eine deutschlandweite Kampagne gegen die zunehmende Rohheit. Fünf bis zehn Prozent der männlichen Jugendlichen in Deutschland verhalten sich laut Studien extrem aggressiv. Der Geschlechterunterschied ist ein "ehernes Gesetz". Der Gewaltforscher Friedrich Lösel weiß: "Frauen werden traditionell wesentlich weniger straffällig als Männer. Dies gilt insbesondere für Gewaltdelikte." Er warnt vor Überreaktionen: Junge Menschen seien schon immer stark "kriminalitätsbelastet" gewesen - man denke an die "Halbstarkenkrawalle" in den 50er-Jahren, die Ausschreitungen der 60er oder die Hausbesetzerszene in den 80er-Jahren. Doch die Qualität der Gewalt scheint heute eine andere zu sein. Der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer bezeichnet die Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen als "Fieberkurve der Gesellschaft". Gewalterfahrungen, Prügel, Demütigungen in der Familie, niedrige Schulleistungen und geringe Berufschancen sind Ursachen für die ansteigende Aggressivität. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nimmt nun die Länder in die Pflicht, nicht länger die Mittel bei der Prävention und der Jugendarbeit zu kürzen: " Das ist ein völlig falsches Signal", so Zypries. Der jugendpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Johannes Singhammer (CSU), plädiert hingegen für eine härtere Gangart gegen kriminellen Nachwuchs: "Es muss möglich sein, straffällige Kinder und Jugendliche aus dem Verkehr zu ziehen." Viele Streitigkeiten sind jedoch Alltagskonflikte, die eskalieren - an immer mehr Schulen gibt es daher "Anti-Gewalt-Unterricht". Und Gewalt tritt vor allem dort auf, wo eines fehlt: Perspektiven.

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