Juncker und die Konkurrenz

Brüssel · Zurzeit bringen sich die politischen Lager in Position, aber Anfang März geht er richtig los, der Europawahlkampf. Schon jetzt ist klar: Es wird - anders als bei früheren Abstimmungen - spannender, persönlicher, schmutziger.

Brüssel. Jean-Claude Juncker (59) wirkte menschlich tief getroffen: "Es reicht jetzt", zischte der Luxemburger Vorzeige-Europäer in die Kamera eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders. Er habe kein Alkoholproblem, sagte er zu Medienberichten über seine angebliche Trinkfreudigkeit. Offenbar setze jemand Gerüchte in die Welt, um ihn zu beschädigen. Der langjährige Premier und Eurogruppenchef ist der Favorit auf die Spitzenkandidatur der europäischen Christdemokraten (EVP) für die Europawahl Ende Mai. Auch die Bundeskanzlerin unterstützt "Mr. Euro". Die Sozialdemokraten gehen auf europäischer Ebene mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (58, SPD) ins Rennen.
Erst nach der offiziellen Nominierung auf Parteitagen Anfang März geht der Wahlkampf richtig los. Doch schon jetzt ist klar: Er wird anders als sonst - spannender, persönlicher und wohl auch schmutziger. Erstmals soll es einen Wettstreit um Köpfe und Konzepte für Europa geben. Die Bürger sollen mit ihrem Kreuz nicht nur ihre nationalen Abgeordneten für das EU-Parlament, sondern auch Europas Quasi-Regierungschef - den Kommissionspräsidenten - bestimmen. Denn der Kandidat der europaweit stärksten Parteienfamilie soll den Posten bekommen. Bisher kungelten die Staats- und Regierungschefs die Personalie weitgehend unter sich aus.
Umfragen zufolge liefern sich Sozialisten und Christdemokraten auf europäischer Ebene ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Juncker oder Schulz for President?
Auf diese Frage dürfte sich das Rennen am Ende verengen. Erstmals wird es sogar eine europaweit ausgestrahlte Fernsehdebatte mit den Spitzenkandidaten geben - betreut von den Veranstaltern des Eurovision Song Contests. Ziel dieser Personalisierung ist es, den stetigen Niedergang bei der Wahlbeteiligung zu stoppen. 2009 gingen europaweit nur 43 Prozent der Berechtigten in die Wahlkabinen - nach 45,5 im Jahr 2004. Die SPD, die Schulz auch als nationalen Spitzenkandidaten ins Rennen schickt, will ein Rekordbudget von 10,3 Millionen Euro aufbieten, um den Rheinländer zum ersten deutschen Kommissionspräsidenten seit Walter Hallstein vor über 50 Jahren zu machen.Europawahl 25. Mai 2014


Die CDU wird neben ihrem nationalen Spitzenkandidaten David McAllister natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel in Szene setzen. Die in Berlin regierenden Großkoalitionäre haben vereinbart, als Teil ihrer europäischen Parteien in die Schlacht zu ziehen. Das heißt: Martin Schulz wird in den Krisenländern eine Vergemeinschaftung der Schuldenhaftung über Eurobonds fordern, obwohl der schwarz-rote Koalitionsvertrag Angela Merkels Krisenkurs (Hilfe nur gegen Reformen) weiter fortschreibt.
Klar ist zudem: Aus Angst vor einem Aufstieg der Anti-EU-Kräfte - Studien sagen ihnen bis zu einem Viertel der Sitze voraus - wird der Wahlkampf populistischer denn je. Auch die etablierten Kräfte machen den Kampf gegen Brüsseler Überregulierung zu einem Kernanliegen, um der Alternative für Deutschland (AfD) und anderen das Wasser abzugraben. "Das wird der politischste Wahlkampf, den Europa je hatte", heißt es aus der CDU-Führung.
Ab Ostern schaltet Europa komplett in Wahlkampfmodus. Wichtige Entscheidungen fallen nicht mehr. Das EU-Parlament tagt am Gründonnerstag zum letzten Mal vor der Wahl am 25. Mai. Der eigentliche Lackmustest für das neue Europa kommt aber erst nach der Wahl. Der seit Ende 2009 gültige Vertrag von Lissabon hat die EU-Volksvertretung nicht nur in der Gesetzgebungsmacht aufgewertet. Die Abgeordneten müssen auch den neuen Kommissionspräsidenten mit Mehrheit wählen. Am Ende könnte sogar der Fall eintreten, dass Martin Schulz und Jean-Claude Juncker beide Präsidenten werden. Der eine in der Kommission, der andere im Rat, der Vertretung der EU-Staaten.
Juncker, der wegen einer Geheimdienstaffäre nach fast 19 Jahren das Amt des Ministerpräsidenten verlor und nun die Opposition im Luxemburger Parlament führt, wäre das nicht unrecht. Er ist einer der erfahrensten Regierungschefs in Europa. Und ihm wäre die Rolle des Strippenziehers der Hauptstädte in Brüssel wohl lieber als die des Prügelknabens der Nationalstaaten an der Spitze der EU-Exekutive.

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