K-Frage verdüstert Sondierungs-Chancen

BERLIN. Nach den ersten beiden Sondierungsrunden schien schon weißer Rauch aufzusteigen. Heute Mittag wollen die Spitzen von Union und SPD erneut in Berlin zusammen kommen, um die Modalitäten für Verhandlungen über eine große Koalition auszuloten. Doch diesmal steht das Treffen unter keinem guten Stern.

Hintergrund ist die nach wie vor ungelöste K-Frage. Noch am Montag hatte sich die Union Hoffnungen auf ein ungetrübtes Gespräch gemacht. Schließlich deutete Gerhard Schröder vor laufenden Kameras seinen Verzicht auf die Führungsrolle in einem schwarz-roten Bündnis an. Die Freude war allerdings nur von kurzer Dauer. Denn SPD-Chef Franz Müntefering stellte umgehend klar, dass die Genossen nicht im Traum daran denken, ihr Zugpferd sang- und klanglos zu opfern. Nach ihrer Strategie sollen die Koalitionsverhandlungen schon bald beginnen, ohne dass die Führungsfrage vorab geklärt wird. Damit wird Schröder endgültig zur politischen Manövriermasse. Und der Nervenkrieg um die Koalitionsbildung tritt in eine neue Phase. Hat doch auch die Union ihre Folterinstrumente ausgepackt. In einer kurzen Telefonschaltkonferenz erörterten die Präsidiumsmitglieder am Montagabend das weitere Vorgehen. Dem Vernehmen nach gab Kanzlerkandidatin Merkel dabei die Parole aus: Ohne Beantwortung der K-Frage keine vertieften Sachgespräche. Dieser Auffassung schloss sich das Gremium spontan an. Gespräche vor Unterbrechung?

Für die heutige Sondierungsrunde erwartet man deshalb, dass sich Müntefering & Co. klar zum Führungsanspruch Merkels erklären. Ansonsten, so die einhellige Auffassung, könnten die Sondierungen erst einmal "unterbrochen" werden. Eine Anerkennung von Merkels Führungsrolle sei die "Voraussetzung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen", meinte CDU-Generalsekretär Volker Kauder gestern in Richtung SPD. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach warnte, dass sich ohne eine entsprechende Bereitschaft der Genossen die Frage stelle, "ob Koalitionsverhandlungen überhaupt Sinn machen". Das letzte Wort über die weitere Marschrichtung nach der heutigen Sondierungsrunde bleibt aber einer Vorstandssitzung vorbehalten, die für den morgigen Donnerstag anberaumt ist. Auch der Vorstand der SPD will zeitgleich eine entsprechende Kursbestimmung vornehmen. Das Merkel bei der Personalentscheidung auf Tempo drückt, ist verständlich. Noch hält die Geschlossenheit in den eigenen Reihen. Aber je länger die Kanzlerfrage offen bleibt, um so mehr muss Merkel um ihre Machtposition fürchten. Vereinzelt brechen sich bereits Unmutsäußerungen Bahn. Erst gestern hatte der CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer wieder das mangelnde soziale Fingerspitzengefühl der Union im Wahlkampf beklagt. Die Verantwortung dafür trägt natürlich die Kanzlerkandidatin. Auf der anderen Seite setzt die SPD-Spitze darauf, mit der Trumpfkarte Schröder die Preise hoch zu treiben. Münteferings gebetsmühlenartig wiederholte Aussage, in einer großen Koalition möglichst viel sozialdemokratische Programmatik umzusetzen, ist keine bloße Floskel. Am Ende, so die Überlegung der Genossen, könnte sich Merkels Führungsanspruch mangels inhaltlicher Übereinstimmung von selbst erledigen. Und wenn nicht, dann müsste sich die Ostdeutsche so verbiegen, dass die SPD auch ohne eine Kanzlerschaft Schröders ihr Gesicht gewahrt hätte. Mangels vernünftiger Alternativen werden aber beide Seiten über kurz oder lang wieder das Gespräch suchen - "unterbrechen" heißt ja nicht abbrechen.

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